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Als die Stasi eine Liebe rettete, ein Mann vor dem Spiegel und Sympathie im Weltraum - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

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Als die Stasi eine Liebe rettete, ein Mann vor dem Spiegel und Sympathie im Weltraum - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

Erstellt von EDITION digital - DER E-Book-Verlag am 01.09.2017

Die Liebe, die Liebe in verschiedenen Varianten, das ist vielleicht das allen Gemeinsame aller fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 01.09. 17 – Freitag, 08.09.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind.

Da geht es um einen vermeintlichen Liebes- und einen echten Landesverrat (oder eine Republikflucht, wie man damals sagte), um die wenig liebevollen Folgen einer defekten Kaffeemaschine, um die Liebe zur Natur im Allgemeinen und zu Bäumen im Speziellen sowie um das süße Geheimnis eines verzauberten wilden Apfelbaumes, der fast übersehbar in einer Hecke auf dem Feld steht, sowie um die Liebe zum Leben eines jüdischen Jungen in Deutschland, England und Australien der 30er und 40er Jahre des vorigen Jahrhunderts und nicht zuletzt um sehr menschliche Beziehungen in einer fernen Zukunft, die zwischen zwei Menschen manchmal mit (gegenseitiger?) Sympathie beginnen. Das wird in der Zukunft nicht anders sein als heute und als früher. Und da gibt es natürlich noch die Liebe zur Literatur und zum Lesen. Fünf Gründe dafür bringt dieser aktuelle Newsletter. Lassen Sie sich einladen:

Erstmals 1961 erschien im Henschelverlag Berlin das Buch „Septemberliebe“ von Herbert Otto: Das Leben des Chemikers Dr. Hans Schramm läuft ohne Probleme, bis er sich in Franka, die Schwester seiner Verlobten Hanna verliebt. Auch Franka liebt ihn, kämpft aber gegen ihre Gefühle an, weil sie ihrer Schwester nicht den Mann ausspannen will. Zu diesem Konflikt kommt ein weiterer ganz anderer Art: Schramm ist ins Visier eines westdeutschen Agentenrings geraten, der von ihm Informationen über seine chemischen Forschungen erpresst. Aus Angst vor Repressalien weiß er keinen anderen Ausweg, als in den Westen zu flüchten. Franka verhindert dies durch eine entsprechende Mitteilung an die Staatssicherheit der DDR. Schramm fühlt sich von der geliebten Frau verraten und begreift erst allmählich, dass sie für ihn nur das Beste wollte. Das Drehbuch zu dem DEFA-Film von 1961 (Regie: Kurt Maetzig) steht im krassen Gegensatz zu dem, was man heute über die Stasi hört und liest. Gerade deshalb ist das Buch ein wichtiges Zeitdokument.

Und man merkt diesem Buch natürlich an, dass es die Veröffentlichung des Drehbuches zu dem DEFA-Film „Septemberliebe“ ist. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wurde die Form des Drehbuches allerdings nicht beibehalten: so sind rechte und linke Seite zusammengeschrieben, Regie- und Kameraanweisungen sowie Musikeinblendungen wurden weggelassen. Der Leser wird unschwer die Filmvorlage erkennen, und es wird für ihn von Interesse sein, durch Text und Bild mit dem Stoff des Films näher bekannt zu werden. In diesem Sinne: Film ab!

„Korridor in einem Städtischen Krankenhaus
Es ist Nacht. Der lange Korridor liegt still und im Halbdunkel. An einer Tür leuchtet ein Lichtsignal auf. Schwester Franka tritt aus einem der Zimmer auf den Korridor, schließt leise die Tür hinter sich, öffnet eine andere Tür und tritt ein. In diesem Zimmer stehen sechs Betten, fünf Patienten schlafen, nur einer wacht. Es sind unfallchirurgische Fälle; einige haben Gliedmaßen in Gips, tragen Verbände und Schienen.

Franka tritt an das Bett des wachliegenden Mannes und reicht ihm eine Tablette und ein Glas Wasser. Sie geht an ein anderes Bett, zieht über dem Patienten die Decke zurecht. Im Zimmer ist nur der schwache Lichtschimmer, der vom Korridor hereinfällt. Nachdem sie mit ihren kleinen Handreichungen fertig ist, geht sie wieder auf den Korridor, öffnet die Tür zum Schwesternzimmer und geht hinein.

Gedämpftes Licht von einer Tischlampe fällt auf einen Medikamentenschrank und auf medizinische Geräte. Franka tritt ans Fenster, draußen ist es dunkel. Die Scheiben sind teilweise mit Eisblumen bedeckt. Es schneit, auf dem Fensterbrett ist sogar Schnee angeweht. Franka steht am Fenster und blickt hinaus, die Fensterscheiben spiegeln ihr Bild wider. Sie wendet sich um und betrachtet nervös die Gegenstände im Zimmer: auf dem Schreibtisch das Telefon, ein aufgeschlagenes Buch, und über der Tür die elektrische Uhr, deren Sekundenzeiger ruckweise vorwärtsspringt. Es ist kurz vor vier. Frankas Blick ist unruhig, so, als erwarte sie etwas. Sie scheint zu horchen, sie geht zum Schreibtisch, setzt sich unschlüssig. Ihr Blick fällt auf das Buch, sie nimmt es und versucht zu lesen. Aber es gelingt ihr nicht, sich zu konzentrieren. Sie schiebt das Buch zur Seite und blickt wieder zur Uhr. Plötzlich surrt leise das Telefon. Franka erschrickt; froh, dass sich endlich etwas ereignet, meldet sie sich: „Unfallstation ...“

Anscheinend liegt eine falsche Verbindung vor, denn Franka sagt: „Nein ... Hier ist das Städtische Krankenhaus ... Ja, bitte...“ Sie legt den Hörer auf und kehrt wieder zu sich selbst, zu ihrer Unruhe zurück. Sie blickt abermals zur Uhr. Der Sekundenzeiger läuft um. Mit leisem Knacken rückt der Minutenzeiger einen Strich weiter. Immer noch vier Stunden. - Um acht Uhr werden wir uns wiedersehen … Er wird heute aus der Untersuchungshaft entlassen. Er wird nicht im Gefängnis sitzen ... Ich kann es noch gar nicht glauben, dass er mich sehen möchte ... nach allem ... Es scheint, als sei unsere Liebe doch am Leben geblieben ... Unsere Liebe - ... sie hat es schwer gehabt ... vom ersten Tage an ... Es begann, als wir uns das erste Mal sahen ... Es war im Juli. Er war Doktor rer. nat. geworden, und das sollte an diesem Abend gefeiert werden ... Ich hatte ihn bis dahin nie gesehen, ich wusste nur, dass meine Schwester und er heiraten wollten ...

Ein Gartenlokal an der Saale an einem Sommerabend

In einem Gartenrestaurant sind etwa zwanzig Personen versammelt. Kollegen von Hans und Hannelore. Sommerblumen stehen auf den Tischen. Dicht am Restaurant vorbei fließt die Saale. Im Vorgarten stehen Tische und Stühle, an denen Gäste sitzen. Einige junge Burschen arbeiten an einem Koffermagnettongerät, schließen Kabel an und legen ein Band auf. Franka steht dabei.

Jetzt tritt Hannelore hinzu; einen Packen Telegramme und Briefe in der Hand, sagt sie mit entschuldigender Geste: „Hans muss gleich kommen ... Ich habe im Werk angerufen. Es war irgendeine Störung an der C-16-Apparatur“ - und mehr zu Franka gewandt: „Vater hat ihn abgeholt; sie sind schon seit einer Stunde unterwegs.“ Hannelore geht durch den Vorgarten. Franka sieht ihr noch eine Weile nach, zufrieden über das Glück der Schwester. Dann wendet sie sich zu den jungen Leuten am Magnettongerät: „Ach, bitte Musik! Wir wollen doch tanzen!“

In diesem Augenblick kommt Bewegung in die kleine Gruppe. Hans, in einem hellen Sommeranzug, betritt von Vater Hübental begleitet den Garten. Er trägt einen großen Blumenstrauß in der Hand, wird umringt und begrüßt. Gratulationsrufe klingen durcheinander: „Herzlichen Glückwunsch!“ „Es lebe unser frischgebackener Doktor!“ „Und mit ,sehr gut‘ bestanden!“ „Alle Achtung!“

Jemand hat die Dissertation von Hans in der Hand und liest den sehr komplizierten Titel vor. Franka steht ein wenig abseits, blickt hinüber, nähert sich dann langsam dem Kreis. Hannelore steht vor Hans und markiert scherzhaft einen Knicks. „Noch einmal ganz offiziell: Ich gratuliere!“ Sie blickt auf den Blumenstrauß, den Hans immer noch in den Händen hält. Hans umarmt Hannelore, gibt ihr einen herzhaften Kuss. Dann aber sucht sein Blick das Zimmer ab, er entdeckt seine Mutter, die unweit an einem der Tische sitzt. Hans drängt sich zu ihr durch. Hannelore bleibt offensichtlich ein wenig enttäuscht zurück, während Hans seiner Mutter die Blumen überreicht, sie umarmt und sagt: „Herzlichen Dank, Mutter ... für alles.“

In Frankas Gesicht kommt ein kleines warmherziges Lächeln. Sie ist beinahe gerührt. Nun tritt Hannelore heran und zieht sie zu Hans. „So - und das ist meine kleine Schwester!“ Hans lacht Franka vergnügt an. „Es wird ja auch höchste Zeit, dass wir uns endlich kennenlernen! Hannelore hatte schon Angst, dass Ihr Kurs erst nächste Woche zu Ende wäre.“ Franka sagt sofort: „Dann hättet ihr eben noch eine Woche warten müssen mit der Doktorfeier! So ein Fest ohne mich? Ausgeschlossen!“

Hans und Franka lachen sich an, finden einander sympathisch. Hannelore überreicht Hans die Telegramme: „Hier, noch Telegramme für dich.“ Hans öffnet sie und liest, während ihm seine Freunde über die Schulter sehen: „Weiter gute Erfolge!“... Hochschulgruppe der FDJ. Und aus Berlin-Charlottenburg ... „Bin stolz auf Dich. Erwarte noch viel von Dir!“ Jemand ruft dazwischen: „Hört, hört! Der Ruf unseres Alchimisten ist schon bis nach Westberlin gedrungen!“

Hannelore glaubt, Hans verteidigen zu müssen: „Das ist sein Onkel! Er hat Hans sehr unterstützt während der Studienzeit.“ Wer genau hinsieht, bemerkt, dass Hans diese Verteidigung nicht sehr angenehm ist. Auch Franka scheinen Hannelores Worte nicht zu gefallen. Sie sagt lachend, durchaus ohne provozierenden Unterton: „Und ich dachte, er hat auf Staatskosten studiert!“ Hans wird aufmerksam. Anscheinend hat er so etwas von Hannelore nie gehört. Erstaunt und ein wenig bewundernd blickt er diese „kleine Schwester“ an. Das Aggressive an ihr gefällt ihm.

Plötzlich setzt Musik ein, lautes Rufen und Zustimmung. Jemand ruft: „Ehrenrunde für den Doktor und Hannelore!“ Die Gäste bilden einen Kreis. Hans eröffnet mit Hannelore den Tanz. Bald aber gibt es eine Unterbrechung. Die Wirtin ist herangetreten, fasst Hannelore am Arm und spricht sie entschuldigend an: „Fräulein Hübental - einen Moment bitte! Telefon! Wegen der Eisbombe ...“ Hannelore geht, mit einer kleinen entschuldigenden Geste zu Hans, hinaus. Hans will ihr nachrufen, lässt es dann aber und blickt sich einige Augenblicke lang suchend um. Franka schaut ihn an und fängt seinen Blick auf. Langsam geht er auf sie zu. „Darf ich bitten? ´“

Auch um Liebe und zwar um einen „seltenen Fall von Liebe“ geht es in dem erstmals 1978 und danach in mehreren weiteren Auflagen im Mitteldeutschen Verlag Halle-Leipzig erschienenen Band mit Erzählungen von Joachim NowotnyEin seltener Fall von Liebe“: Liebe also. Und Geschichten. Demnach Liebesgeschichten? Ja, aber. Wie will man es nennen, wenn einer seinen Ehebruch beichtet? Etwa das Gegenteil einer Liebesgeschichte? Oder wenn einer seiner Einbildungskraft folgt und prompt im Bett eines wohlbehüteten Mädchens landet? Na also! Oder wenn ein Alter sein - unser - Leben liebt, wenngleich ihm seine Freuden durch die geliebte defekte Kaffeemühle vergällt sind, worauf er keineswegs mit Liebeserklärungen reagiert. Wie bezeichnet man das unentwirrbare Bündel von Gefühlen Halbwüchsiger, denen Geschichten passieren, in denen (vielleicht zum ersten Male) Mädchen vorkommen, wie die Gemütsbewegungen eines Lehrers angesichts der Not seines Sorgenschülers? Darf man von Liebe reden, wenn einer, der zwar abseits wohnt, aber unter uns lebt, nicht weiß, dass er einem Damenstiefel tragenden Phantom verfallen ist? Und in diesem Zusammenhang von einer Geschichte, in der ein Dorfgastwirt alles, was er über den Fall weiß, der Kriminalpolizei erzählt. Es wird sich zeigen. Man lese.

Eine der Geschichten wurde übrigens 1976 vom Deutschen Fernsehfunk unter dem Titel „Ein altes Modell“ in der Regie von Ulrich Thein verfilmt. Und hier ein Auszug aus einer der Liebes-Erzählungen von Joachim Nowotny. Wie hieß es doch eben so schön: Man lese:

„Kleine Fische
Gleich früh ist Stimmung in der Bude. Eine Zucht, schimpft Frieda. Kein Verlass auf die Mannsbilder. Bruno, auf den das gemünzt ist, tut nicht dergleichen. Er steht vor dem Spiegel, im Unterhemd, mit heruntergelassenen Hosenträgern, er rasiert die Stelle unterm Kinn. Die Stoppeln sind grau geworden in den Jahren. Weich geworden sind sie nicht. Und unterm Kinn hat er so einen Wirbel. Da muss er Ruhe bewahren. Außerdem: Wer wird gleich springen, wenn Weiber kaffern!

Friedas Atem ist kurz und stoßend. Sie kann nicht reden jetzt, nicht, bevor der Kaffee fertig gemahlen ist. Bruno streicht das Kinn, er hebt sich auf die Zehenspitzen, sieht Frieda im Spiegel, wie sie da sitzt auf dem Stuhl vor dem Küchentisch, die Mühle zwischen den Knien. Bei jeder Drehung stößt sie mit dem Ellenbogen gegen die Brust. Muss ja nicht unbedingt sein, denkt Bruno. Das kann dumm ausgehen. Und froh, dass dies sein Entschluss ist, beschließt er, ein Ende zu machen.

Er zieht sich an, setzt sich an den Tisch, übersieht die braune Henkeltasse, aus der der frisch gebrühte dampft. Kaffee trinkt er nur aus Gesellschaft. Geschmack hat er nicht von so was. Und heute wird er seiner besseren Hälfte keinen Grund geben, noch einmal über ihn herzufallen. Er trinkt Wasser. Isst Brot und Stangenkäse. Wischt sich den Mund mit dem Handrücken, nutzt die Bewegung gleich, um auf den Schrank zu langen. Her mit dem elendigen Ding! Wäre ja gelacht. Das Ding verschwindet in der Joppentasche. Es beutelt ganz schön. Und Frieda ruft was von Schlumpsack aus dem Fenster. Aber Bruno hört es nicht mehr. Er ist schon unterwegs. Unterwegs mit der elektrischen Kaffeemühle, die nun endlich repariert werden muss.

Früher, denkt Bruno, während er aufs Rad steigt und aus dem Hoftor kurvt, früher wäre das keine Begebenheit gewesen. Da wärst du zu Zapke-Alfred hintenrein gegangen. Und der Gehilfe hätte sich das Ding vornehmen müssen. Du hättest mit dem Alfred derweil einen Schnaps getrunken. Und einen Schlag geredet. Oder auch zwei, je nachdem, wie lange das dauert. Früher hatte Bruno keine elektrische Kaffeemühle. Frieda hat mit der Hand gemahlen, und nie war die Brust im Wege. Tja, früher, denkt Bruno. Er blinzelt in die Morgensonne, um mit der Melancholie fertig zu werden. Fertig ist er sehr schnell damit, wenn er an heute denkt.

Zapke-Alfred ist tot. Elektromeister gibt es keinen mehr im Ort. Dafür eine Annahmestelle für kaputtes Zeug. Bruno stellt die Mühle hart auf den Ladentisch. Tja, dauert vier Wochen! Was, vier Wochen? Tja, es wird eingeschickt. Bruno rafft die Mühle an sich. Die kriegen Sie nicht!

Vor Rias Gasthaus winkt Heider-Karl. Um zehn wird offiziell geöffnet. Nicht für Heider-Karl, der kann in die Küche. Er würde Bruno mitnehmen, würde sagen: Das ist mein Freund. Ria wäre machtlos. Seit wann gelten Öffnungszeiten, wenn Freunde sich treffen. Aber Bruno sieht über Heider-Karl in die Luft. Was braucht er einen Parlamentär. Er könnte Tag und Nacht zu Ria in die Küche, wenn er wollte. Jetzt will er nicht. Jetzt muss er das elendige Ding unterbringen.

Vor der Post überlegt er einen Moment. Straße oder Schiene? Der Bus fährt eher. Bei der Reichsbahn aber hat er früher mal auf der Strecke gearbeitet. Das entscheidet. Bruno stellt das Rad bei Boblitz ab, der hat hinten auf den Bahnhof zu einen Schuppen. Er wird gucken, der Adolf, wird denken: Nanu, ein Rad. Das denkt er immer, bei jedem Rad, das zu ihm gestellt wird. Wegen der Steuer. Viele zahlen fürs Unterstellen, wenige nicht. Solange sich Boblitz-Adolf wundert, kann der Fiskus nicht an ihn ran.

Der Zug fährt erst um neun. Neun Uhr sieben. Bruno rechnet um: also acht Minuten vor viertel zehn. Einmal Rentner, sagt Bruno am Schalter. Die Stimme klingt poltrig in der leeren Halle. Das Mädchen hinter der Scheibe sagt nicht muh noch mäh. Es schiebt ihm eine Fahrkarte in die Kreisstadt hin. Schlechte Nacht gehabt, das Ding, denkt Bruno. Er überlegt, ob er das anbringen könnte. Sieht sich das Mädchen an, verzichtet darauf. Sie ist ihm zu grün für so was.

Die Bahnhofsuhr zeigt acht Uhr dreiundvierzig. Bruno zieht seine Taschenuhr und vergleicht. Missmutig stellt er sie drei Minuten vor. Lieber würde er die Bahnhofsuhr zurückstellen. Aber er kommt da nicht ran.

Bei Franz ist schon auf. Franz hat es nicht gern, wenn einer Kneipe zu einem Bahnhofslokal sagt. Er wischt die chromblitzende Theke genau an der Stelle, auf die Bruno mit dem Fingerknöchel geklopft hat. Wischt und wischt. Heil, Kneipe! hat Bruno gesagt. Bist du aktiv, murmelt Franz. Bleib lieber liegen mit dem Arsch im Bette. Er zapft ein Glas Bier. Bruno stößt das Kinn nach vorn. Was verstehst du schon. Unsereins hat egalweg zu tun. Das will Bruno eigentlich sagen. Aber er sagt: Bin schon halb fünf raus, heute.

Er trinkt sein Bier in einem Zug. Franz wackelt anerkennend mit den Ohren. Die Augen verschwimmen in Wasser. Das Gesicht besteht nur noch aus Nase. Aus einer roten Knollennase. Bruno setzt sich. Ist ja noch Zeit. Und am Tisch sitzt so was wie ein verständiger Mensch. Da hat man Gesellschaft. Prost, sagt Bruno. Der verständige Mensch nickt. Noch eine Cola bitte. Cola ist nicht gut, sagt Bruno. Macht Mücken im Bauch, Bier müssen Sie trinken, junger Mann. Doch nicht jetzt, am frühen Morgen. Der Morgen ist nicht früh. Es ist gleich neun Uhr. Vier Minuten vor neun, sagt Bruno, die Taschenuhr gezückt. Zwei Minuten bis neun, sagt der verständige Mensch. Vier, sagt Bruno, ich hab gestellt.“

Was hat eine Hexe mit einer Mundharmonika zu tun? Wolf Spillner weiß es zu erzählen. Erstmals 1983 erschien im Kinderbuchverlag Berlin sein Buch „Die Hexe mit der Mundharmonika und andere Geschichten“: Die Begegnung mit der Natur ist wie der Kontakt mit einem Menschen. Man muss hinsehen, zuhören und sich einstellen können, darf nehmen, aber auch geben und muss sich, wenn nötig, einsetzen, dann kann im Miteinander Liebe und Freundschaft wachsen. Dass dieses Einanderverstehen nicht immer leicht ist, erfährt Kerstin. „Du bist ein Sprüchemacher“, ruft sie ihrem Vater zu, der seinen Worten unerwartete Taten folgen lässt. Der alte Mann erfährt, dass seine Gemeinschaft mit den Vögeln ihm nicht allein gehören darf. Mit den Vögeln und den Jungen wird er reicher, die Gemeinschaft schöner. Wolf Spillners Sorge gilt in den neun Geschichten den alltäglichen Begegnungen, in denen sich die Haltung der Menschen zeigt. Und hier als kleine Kostprobe und eine der neun Geschichten. Sie heißt „Mein schönster Baum“ und geht so:

„Ihr könnt sagen, es lohnt nicht, über Bäume nachzudenken. Sie stehen da und sind aus Holz. Wir können es zu Balken schneiden oder Möbel daraus bauen oder auch Geigen und Mandolinen. Aus Holz können wir Papier machen und aus dem Papier schöne Bücher mit Bildern. Das alles ist richtig. Aber wir können Bäume auch anders sehen. So wie mein Freund Werner. Vor seinem Haus steht eine Schwarzpappel. Das ist ein breiter Riese mit schweren Ästen und dicker Borkenrinde. Von einem Ast pendelt ein Schaukelbrett an einer langen Kette. Darauf können unsere Kinder durch den Sommer fliegen. Im April blüht die Riesenpappel. Das ist lustig — ihre Blüten sehen wie Raupen aus, rot und silbern. Die ersten Stare schwatzen dann in ihren Zweigspitzen, und im Sommer, wenn die Felder schwer von Hitze sind, finden wir unter ihrer Krone kühlen Schatten. Auch die Traktoristen und Mähdrescherfahrer rasten hier gern zur Mittagszeit. Ein freundlicher Baum, sagen sie. Im Herbstwind fliegen die Pappelblätter wie goldfarbene Herzen auf den Acker, und mein Freund Werner meint: „Das ist der schönste Baum, den es gibt!“ Wir wollen ihm nicht widersprechen. Die große Schwarzpappel ist sein Freund. Aber wir haben andere Freunde und kennen andere Bäume, die wir lieben. Für den einen kann das die Fichte sein, die stattlich und schlank am Berghang wächst, für den anderen die Kastanie, die ihre braunen Früchte aus Igelschalen auf den Schulhof wirft. Oder wir denken an Birken, deren weiße Stämme zu tanzen scheinen, an das brennend rote Herbstlaub eines Spitzahorns und an die glatten Silbersäulen des Buchenwaldes. Wie reich sind unsere Dorflinden an Honig, und nach heißem Harz duften die ernsten Kiefern in der blühenden Heide.

Ach, es gibt so viele Bäume, die wir lieben können. Mein schönster Baum steht in einer Hecke auf dem Feld. Er ist nicht groß, und vielleicht ist er auch gar nicht schön. Seine Zweige bergen kein Vogelnest. Um seinen Wurzelfuß blühen keine Siebensterne wie unter den stattlichen Eichen im Wald. Er ist so unscheinbar, dass wir an ihm vorüberlaufen können, vor allem im Winter, wenn seine Zweige kahl und schwarz sind. Jedoch im Mai, da müssen wir stehen bleiben, ob wir wollen oder nicht. Wir müssen ganz tief Atem holen — ein Riesenblumenstrauß strahlt und duftet aus der Hecke! Das ist der wilde Apfelbaum. Im Herbst trägt er kleine, harte Früchte. Sie schmecken nicht gut, sie sind so schrecklich sauer. Also ein völlig unnützer Baum, werdet ihr sagen. Aber ich will ein Geheimnis verraten. Der wilde Apfelbaum hat einen Ast, an dem herrliche süße Früchte wachsen. Sie sind dunkelrot und rund. Und ein anderer Ast trägt längliche Äpfel, gelb wie Honig, mit feinen Streifen. Sie schmecken ein wenig nach Bananen. Beide Äste wachsen viel schneller als die anderen am gleichen Stamm. Wer mag den Baum verzaubert haben? Vater Jonas! Er ist ein alter Gärtner, der stets ein krummes Messer in der Jackentasche trägt, ein Arbeitsmesser mit schwarzem, abgewetztem Griff. Mit diesem Messer in der Tasche ist Vater Jonas zu dem wilden Apfelbaum gegangen. Er hat damit zwei Äste gestutzt, an den Stümpfen die Rinde aufgeschlitzt und zwei kleine Reiser hineingesteckt. Dann hat er Bast darum gebunden und Baumwachs aufgetragen. Die Reiser schnitt er von seinen guten Obstbäumen im Garten. Jetzt wachsen sie am Wildapfelbaum, und im Herbst leuchten köstliche Früchte zwischen den kleinen sauren Apfelzwergen. Der alte Vater Jonas hat Äpfel genug in seinem Garten. Er verschenkt sie an unsere Kinder. Er brauchte nicht noch mehr. Und doch sucht er am Waldrand und in den Feldhecken noch immer nach wilden Apfelbäumen. Warum, haben wir gefragt. Da hat er gelächelt: Bäume sind unsere Freunde. Freunde soll man reicher machen!“

Erstmals 1957 veröffentlichte Walter Kaufmann im Verlag Neues Leben Berlin seinen Roman „Wohin der Mensch gehört“: Der Autor, der als Kind jüdischer Adoptiveltern mit viel Glück vor den Nazis aus Deutschland fliehen konnte, erzählt darin auf beeindruckende Weise von seiner Kindheit und Jugend in Deutschland, England und Australien. Nehmen wir uns die Zeit und schauen wir in den Ersten Teil und in den Anfang des 1. Kapitels dieser berührenden Lebensbeschreibung:

„Der Wind jagte Regenwolken über den Himmel. Die Waldbäume neigten sich. Herbstlaub tanzte in der Luft und irrte über den Boden. Der Wind trug eine schwermütige Weise zu ihnen herüber: Am Brunnen vor dem Tore, da steht ein Lindenbaum ... Als sie das Singen hörten, blieben sie stehen. Die junge Frau sah den Knaben an. „Horch!“, sagte sie und begann leise mitzusingen: Ich träumt’ in seinem Schatten ... Der Junge war noch klein, sieben Jahre alt, und hatte einen matten olivbraunen Teint. Seine Durchsichtigkeit konnte darauf schließen lassen, dass er krank gewesen sei. Seine Haare, seine Augen waren ebenso dunkel wie ihre, aber er war nicht ihr Bruder. Das Lied verklang, und es schien, dass die Sänger sich entfernt hatten. Aber nur der Wind hatte sich gelegt, wie immer, ehe Regen losbricht. Die wenigen Blätter an den Zweigen bebten, der Himmel hatte sich düster bezogen. Der Junge sah hinauf und lief, um weit unten am Weg eine Schutzhütte zu erreichen, bevor die ersten Tropfen fielen. Sie eilte ihm nach.

In der Hütte saßen Männer; sie rückten zusammen, ihnen Platz zu machen. Es war dämmerig in der Hütte; trotzdem sahen sie, wie schäbig gekleidet die Männer waren und wie verhungert. Die Gesichter unter den abgetragenen Hüten und Mützen waren hager. Eine tiefe Stimme sagte unvermutet: „Bist du das, Hilde?“ Sie schreckte auf. „Gerhart!“, sagte sie. Der Junge betrachtete den Unbekannten und sah, dass er mager war und blonde Bartstoppeln die hohlen Wangen bedeckten. Das Jackett war ihm zu klein, und der Schal konnte nicht verbergen, dass er kein Hemd trug.

In Strömen begann der Regen von dem schrägen Hüttendach zu fließen, und dem Jungen war, als führen sie durch einen Wasserfall. Jemand riss ein Streichholz an, um einen Zigarettenstummel anzuzünden. Er warf das Streichholz auf die Erde, es brannte noch ein Weilchen, und in seinem Flackern sah der Junge, dass die Zehen des Mannes durch die Stiefelspitzen staken. „Wir werden den ganzen Nachmittag hier sitzen“, sagte der Mann. „Wenn schon“, sagte ein anderer, „zu versäumen hast du nichts. Oder doch?“ Der erste lachte bitter auf. „Nein“, antwortete er, „lass es regnen. Ich versäume nichts.“

Der Junge fragte sich, wer die Männer sein mochten. Hilde unterhielt sich immer noch ernst mit dem Unbekannten, ihn schien sie vergessen zu haben. „Ich habe mich nicht verändert“, hörte er den Unbekannten sagen. „Ich hab’ dich immer gern.“ Der Regen ließ nach. Die Sonne stach durch die Bäume, Äste und Zweige schimmerten. Hilde drehte sich zu dem Jungen. „Komm, Stefan“, sagte sie, „wir wollen gehen.“

Der Unbekannte begann zu singen: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin ... Dabei lächelte er Hilde an, und die anderen fielen mit Bass und Tenor in den Gesang ein. „Es gefällt mir hier“, sagte Stefan. Der Regen hörte auf, ehe das Lied zu Ende gesungen. Vom Dach fielen wie Perlen vereinzelt Wassertropfen auf die Erde. „Wir müssen jetzt gehen“, sagte Hilde leise. „Ich begleite euch“, sagte der Unbekannte, und zu den andern: „Bis morgen!“ Mit gleichmäßigen langen Schritten ging er neben Hilde und Stefan her. Eine Weile fiel kein Wort. Eine Krähe flatterte zwischen den Bäumen, aus dem Unterholz erhob sich zarter Dunst. Schließlich hörte Stefan den Unbekannten sagen: „Ich liebe dich noch immer, Hilde.“ Hilde verlangsamte ihren Schritt nicht, aber ihre Wangen färbten sich rot. „Ich möchte, dass wir heiraten“, sagte er. „Es geht, glaub mir. Ich verkaufe mein Fahrrad, dann haben wir ein bisschen Geld. Und Arbeit kriege ich schon, keine Angst.“ „Arbeit willst du kriegen?“, fragte Hilde erbittert. „Woher? Auf jede freie Maurerstelle ...“ „Aber ich bin kein Anfänger mehr.“ „Ich weiß nur ...“ Hilde unterbrach sich und hing ihren Gedanken nach. Endlich sagte sie: „Gerhart, du weißt, dass ich möchte. Du weißt, dass ich es sehr gern möchte. Aber ich bin noch keine Zwanzig und Vater wünscht, dass ich bei Hermanns bleibe. Jeden Monat bringe ich Geld nach Hause, und jetzt, wo Helmut auch keine Arbeit hat, brauchen sie jeden Pfennig. Außerdem habe ich die Hermanns gern, und sie haben mich gern. Für so vieles bin ich ihnen dankbar. Ich kann nicht so einfach von ihnen weglaufen.“ „Ist gut“, hörte Stefan den Unbekannten leise antworten, „ich mache dir keinen Vorwurf.“ Stefan sah zu, wie der Mann unter dem Jackett den Schal fester zog, als fröre ihn plötzlich. „Viel Glück“, sagte er, und dennoch lächelte er dabei. Stefan spürte die Enttäuschung wie einen Stich. „Viel Glück“, und damit trennte sich der Mann von ihnen.

Als sie aus dem Wald auf eine Lichtung traten, sahen sie die Prinzenstraße, wo Stefan wohnte. Es war eine vornehme Straße, breit und von Bäumen gesäumt. Der Regen verdunstete schon, der glatte Asphalt war unregelmäßig schwarz und grau gefleckt. In den Einfahrten zu den großen Villen parkten Luxusautos. „Weißt du, wie viele Menschen arbeitslos sind?“, fragte Hilde Stefan, als sei sie ihm eine Erklärung schuldig. „Nein“, sagte Stefan. Für ihn unterschied sich das Jahr 1931 in nichts von den vergangenen Jahren seines kurzen Lebens. Das Wort „arbeitslos“ war ihm nicht mehr als ein Begriff mit einem Beigeschmack wie „Scharlachfieber“ ...

Von dem unbebauten Grundstück neben dem Haus, wo Stefan wohnte, stieg Rauch auf. Er verteilte sich in der Luft und durchsetzte sie mit einem herben Geruch. „Ich will sehen, was da los ist“, sagte Stefan zu Hilde. Sie vermochte ihn nicht zu halten; seit seiner Krankheit fühlte er sich wie ein Vogel, der aus dem Bauer entlassen war. Er stieg durch ein Loch im Zaun und ging quer über das Grundstück über Ziegelsteine und Konservendosen und Marmeladengläser dahin, wo der Rauch herkam. In einer Höhle rösteten sechs Jungen verschiedenen Alters Kartoffeln. Einer, ein dunkelhaariger, schlanker, sah heraus. „Was willst du?“, fragte er. „Nichts. Darf ich hier nicht stehen?“ „Wo kommst du her?“ Stefan zeigte in Richtung der stattlichen Villa in dem Garten neben dem Grundstück. „Ich habe dich nie gesehen.“ „Ich bin krank gewesen.“ „Bring ihn herein, Werner!“, sagte eine andere Stimme. Stefan kroch durch einen Gang und stand einem Jungen, doppelt so alt wie er, gegenüber, der auf einer Kiste saß und eine Kartoffel pellte. Die Ähnlichkeit mit dem, den er Werner rief, war unverkennbar - augenscheinlich waren sie Brüder. „Wie heißt du?“, fragte der ältere ohne aufzusehen. Stefan nannte seinen Namen. „Wie alt?“ Stefan sagte es. Der andere pellte seine Kartoffel zu Ende, steckte sein Messer weg, dann erst betrachtete er Stefan. Sechs Augenpaare ruhten jetzt auf ihm. „Du bist klein für dein Alter“, sagte der Junge mit der Kartoffel. „Dafür kann ich nichts.“ „Kannst du laufen?“ „Ja.“ „Wie schnell?“ „Weiß ich nicht. Schnell genug.“ „Das werden wir feststellen. Geh hinaus und warte.“ Stefan gehorchte. Drinnen berieten sie über ihn, aber er vernahm nichts als undeutliches Gemurmel. Dann kamen alle heraus. „Schön“, sagte der Junge, der in der Höhle mit ihm geredet hatte, „ich bin der Anführer. Das hier ist Fritz Falk.“ Er deutete auf einen untersetzten, derben Jungen in Stefans Alter, der Stefan verschmitzt, jedoch nicht unfreundlich anschaute. „Das ist Werner, mein Bruder, und der da Paul Jäger.“ Dieser, offensichtlich der Älteste, war ein dürrer Bursche mit wässrigen blauen Augen und einer Hautfarbe, die nur wenig blasser war als sein weißblondes Haar. Obwohl sein Gesicht fast ausdruckslos war, enthielt es doch etwas Unheimliches, und Stefan wusste nicht recht, ob es nur die spärlichen weißblonden Augenbrauen waren, die ihm ein Gefühl des Widerwillens einflößten, oder etwas, das in seinen Augen lag, etwas Kaltes, Grausames. „Das ist Hans Amendt, der Sohn von Major Amendt“ - dem Jungen schien die Erklärung zu gefallen - „und das Jan Förster.“ Der Sohn des Majors war blond und unauffällig, der andere schmächtig, fast mädchenhaft, sein Haar seidig und seine Kleidung vornehm. Außer Fritz waren sie alle älter als Stefan. „Und ich bin Franz Kolb. Also - wenn du in zwei Minuten so weit laufen und dich verstecken kannst, dass wir dich in einer Stunde nicht finden, dann nehmen wir dich in die Horde auf. Sonst ...“, er zuckte mit den Schultern, „sonst nicht.“

Und jetzt folgt wieder mal ein gewaltiger zeitlicher Sprung – aus dem Jahr 1931 in eine ferne Zukunft. Erstmals 1976 brachte Dr.-Ing. Helmut Routschek alias Alexander Kröger als Band 128 der Reihe „Spannend erzählt“ des Verlages Neues Leben Berlin seinen wissenschaftlich-fantastischen Roman (eine DDR-Bezeichnung für das SF-Genre) „Expedition Mikro“ heraus. Dem E-Book liegt die überarbeitete Auflage zugrunde, die 2010 im Projekte Verlag Cornelius GmbH, Halle erschienen war: Wie ein gewaltiger Trichter öffnet sich vor ihnen der Schnabel des Riesenvogels, und ihr Hubschrauber verschwindet in dem unermesslichen Schlund. Entsetzt blickt Gela Nylf auf die Gefährten, die sich im bleichen Licht der Kabinenbeleuchtung zu orientieren versuchen. Wird auch diese Expedition misslingen, nachdem schon ihre Vorgänger in jener seltsamen Welt verschollen sind, die sie so schwer begreifen können? Gela denkt an Harold, der die vorige Expedition leitete und nie zurückkehrte. Hat er die sagenhaften Wesen getroffen, die mitunter wie wolkige Schemen am Horizont aufgetaucht sind? Ist der Kontakt mit ihnen tödlich, oder wird er die ersehnte Hilfe bringen?

Die Hubschrauberbesatzung tut alles, um aus dem fliegenden Gefängnis freizukommen. Die Expedition darf nicht scheitern, denn zu viel hängt von ihrem Erfolg ab: die Existenz auf der kleinen Insel inmitten des Ozeans, die Heilung der Krankheit, die dort grassiert, die Rettung vor den bedrohlichen Naturgewalten ... Und so stellen sich Gela Nylf, Chris Noloc und die anderen immer neuen Gefahren und Abenteuern. Krügersche Zukunftsvisionen in einem utopischen Roman von 1976 in der überarbeiten Fassung von 2010 bilden den Hintergrund der spannenden Handlung. Und tatsächlich spürt man schon von den ersten Zeilen dieses Buches an die Spannung. Was zu beweisen ist. Und was zu beweisen nicht schwierig ist:

„Und ich sage dir, dass wir die Gefahr für uns alle nur vergrößern, wenn wir wieder nach Hause aufbrechen!“, äußerte sich Gela Nylf ärgerlich. Sie strich mit den Fingern der linken Hand über die Tischkante. Ihr Gesicht war gerötet, die Augen kniff sie zusammen, die hohe Stirn zog Falten. Sie blickte an ihrem Gegenüber vorbei, dem Biologen Charles Ennil. Er wiederum bemühte sich, sie nicht voll anzusehen. Gela schielte ein wenig, fast unmerklich. Ihr Blick hatte dadurch nicht jene musternde Schärfe, und ihre Partner konnten leicht den Eindruck gewinnen, sie sei nicht ganz bei der Sache. So empfand im Augenblick auch Charles.

„Es gab auf der Fahrt hierher im Grunde genommen keine echte Gefahr“, entgegnete er verächtlich. „Was soll unserem Schiff passieren! Dreimal haben uns diese Salmons und die anderen Fische geschluckt, und was war? Außer dass die Scheiben ein wenig blind geworden sind und wir im Übrigen die Orientierung verloren haben, geschah doch nichts! Aber wenn wir hier bleiben ...“ Den Satz vollendete er nicht. Es war jedem der Anwesenden klar, was er damit sagen wollte.

Gela senkte den Blick. Sie spürte wieder den Schauer über ihren Körper laufen wie damals, als dieses Meerungeheuer das Schiff verschlang. Dann tagelang die Finsternis um sie herum, das Schiff eingeschlossen von zersetzten Tierleibern und Pflanzenresten. >Würden diese Biester nicht alles, was sie greifen, hinunterwürgen, sondern kauen, wir wären jetzt ... Und wer sagt, dass es nicht welche gibt, die kauen? Der Ozean wimmelt von solchen und noch größeren Ungeheuern geradezu. Und da sagt dieser Charles: „Da war doch nichts!“ Natürlich hat er insofern recht: Außerhalb des Schiffes werden die Gefahren größer sein.<

„Nun, machen wir Schluss mit der Diskussion!“ Robert Tocs hatte es energisch gesagt. Er sah unter seiner auf die Stirn geschobenen Brille hervor den Biologen zwingend an. „Außer dir, Charles, sind alle dafür, dass wir auch unter diesen Umständen die Aufgabe erfüllen. Ich weiß, dass es schwierig und vielleicht auch opferreich sein wird. Aber schließlich war uns das von Anfang an bewusst.“ „Aber ...“, warf Charles ein. Robert Tocs erhob nur ein wenig die Stimme und fuhr ungeachtet des begonnenen Einspruchs fort: „Charles, ich bin mir sicher, dass es nicht etwa Angst ist, was dich so sprechen lässt. Dafür kenne ich dich zu gut. Du denkst vor allem an uns neunundzwanzig Übrige. Das ehrt dich natürlich. Aber von Gela, unserem Küken, hast du eben gehört, was sie von deiner Fürsorge hält. Es entspricht unser aller Ansicht. Also: Morgen startet eine Exkursion ins Landesinnere und erkundet einen Stützpunkt.“ Tocs’ Blick ging über die Köpfe. Jens Relpek, der Physiker, blickte aus wasserklaren Augen zurück. - >Nein, er ist zu weich, zu gründlich auch. Er würde lange wägen bevor er sich entscheidet - auch dann, wenn es auf die Sekunde ankommt. Gela – zu unerfahren, sie also noch nicht. Sie brennt sicher darauf, aber es wäre falsch.

Charles ist für die Leitung der Exkursion vorgesehen. Aber jetzt, nach seinen Bedenken? Bei ihm besteht auch die Gefahr, dass er zu tief ins Fachliche gleitet, im Registrieren und Eingruppieren das Leiten vergisst. Chris, sieh nicht so herausfordernd her. Ich weiß, dass du dazu einmal fähig sein wirst, noch bist du mir aber zu draufgängerisch, bringst womöglich deine Begleiter unnötig in Gefahr. Mieh, den Arzt, kann ich nicht von hier fortlassen. Er muss für die Mehrheit da sein. Carol, seine Frau, wird die Exkursion begleiten. Leiten kann sie sie nicht. Wer also? - Ich! Das wäre gegen Vernunft und Instruktion ...< Wieder machte Roberts Blick die Runde. Dann entschied er: „Charles wird die Exkursion leiten. Ihr fliegt mit dem kleinen Helikopter. Die Mannschaft stellst du dir selbst zusammen, Charles. Ich danke!“

Bevor das Leitungsteam die Brücke verließ, kam Charles Ennil der Aufforderung des Kommandanten nach und benannte die Teilnehmer der Expedition. „Chris, bleib du noch ...“, forderte Robert. Er trat an die große Rundsichtscheibe und starrte nach draußen. Die Scheinwerfer waren gelöscht. Das Stück Himmel über ihnen lag in einem fahlen Schein. Nur die großen Sterne durchdrangen ihn. Unmittelbar vor dem Schiff türmte sich die trostlose Geröllwüste. Kommandant Tocs lächelte. Er dachte an das schwierige Landemanöver. >Erst gebärdeten sich alle ungeduldig, als endlich Land in Sicht war, nur ich zögerte. Auch du, Chris, hast das zunächst nicht verstanden. < Robert hatte sich umgedreht und sah Chris, der gleich ihm am Fenster stand und in die Dunkelheit starrte, von der Seite her an. >Es war eben doch gut, eine besonders hohe Welle abzuwarten und dann mit voller Kraft aufzulaufen. So war es möglich, mein lieber Chris, gleich ein schönes Stück ins Land hineinzukommen, ohne dass uns das ablaufende Wasser wieder zurückzog. Endlich eine Aufgabe<, dachte er stolz. >Diese nervtötende Seefahrerei, trotz der Ungeheuer - im Grunde genommen äußerst langweilig ...< >Warum wohl Robert gezögert hat, als es um den Leiter der Exkursion ging? Schließlich stand Charles von vornherein dafür fest. Nun ja, seine Unkerei macht ihn ein wenig unglaubwürdig<, dachte Chris; er bemühte sich im Schein der schwachen Brückenbeleuchtung draußen etwas zu erkennen.

Geröll und aufgetürmte Haufen aus abgeschliffenen Steinen, dazwischen breite Kriechspuren von Tieren. >Ein normaler Küstenstreifen, fast gleich dem, der sich um unsere Insel zieht.< „Chris, ich habe Charles empfohlen, dich mitzunehmen“, erklärte Robert plötzlich und blickte in die Finsternis hinaus. „Ja“, antwortete Chris. Er sah auf die dunkle Silhouette des Kommandanten. „Er hat mit mir gesprochen. Carol soll als Ärztin dabei sein und Karl als Pilot und Techniker.“ „Was sagst du zu Charles als Leiter?“, fragte Robert. Chris überraschte die Frage. Eine Kritik oder auch nur Stellungnahme zu einer Entscheidung des Kommandanten stand ihm laut Reglement nicht zu. Er zuckte leicht mit den Schultern, dann sagte er zögernd: „Dass er auf Gefahren aufmerksam macht, halte ich nicht für falsch. Vielleicht hätte er sich dazu eine bessere Gelegenheit suchen sollen. Es ist nicht beispielgebend, wenn ausgerechnet der Leiter nochmals allgemein bekannte Schwierigkeiten aufzählt. Ansonsten: Er hat einen Blick für Neues, und er ist fachlich sehr beschlagen.“ „Er scheint mir ein wenig zerstreut ...“, entgegnete Robert nachdenklich, doch dann schob er seine Bedenken beiseite. „Okay“, sagte er, und die Angelegenheit war für ihn wohl endgültig erledigt. „Ich finde es gut“, setzte er hinzu, „dass ihr Gela mitnehmt. Sie soll Erfahrungen sammeln.“

Chris fühlte, dass ihm das Blut zu Kopf stieg. Nach einer Weile sagte er: „Bitte sag du ihr das. Du weißt, es gibt ohnehin schon Geflüster.“ „Ich finde nichts dabei, wenn man jemanden na - sympathisch findet, so wie du Gela“, bemerkte Robert, und Chris erriet, dass er lächelte. „Bloß wenn es nicht auf Gegenseitigkeit beruht, wirkt’s leicht komisch“, entgegnete Chris mit brüchiger Forsche in der Stimme. Er starrte weiter aus dem Fenster. „Willst sie also nicht mithaben!“, stellte Tocs fest, und er sah schmunzelnd zu Chris hinüber.“

Ach übrigens, da wir gerade von Sympathie und auch von ihrer größeren Schwester, der Liebe, reden. Was ist eigentlich Liebe? Die Antwort darauf ist nicht einfach, sondern eher das Gegenteil – kompliziert und schwierig. Kurz, knapp und treffend bringt es Heinrich Heine, der selber ein großer Liebender war, auf den Punkt. Er schreibt: „Was Prügel sind, weiß jeder, was Liebe ist, hat noch keiner herausgefunden.“ Also, liebe Leser, bleiben wir auf der Suche. In und außerhalb der Literatur. FF = Viel Vergnügen!
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