Ein Zeppelin über Breslau und Cranach in Kronach sowie ein Polizeiverhör im Senegal - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

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Ein Zeppelin über Breslau und Cranach in Kronach sowie ein Polizeiverhör im Senegal - Fünf E-Books von Freitag bis Freitag zum Sonderpreis

Erstellt von EDITION digital - DER E-Book-Verlag am 24.08.2017

Das Dach des aktuellen Newsletters mit den fünf Deals der Woche, die im E-Book-Shop www.edition-digital.de eine Woche lang (Freitag, 25.08.17 – Freitag, 01.09.17) zu jeweils stark reduzierten Preisen zu haben sind, ist wieder weit gespannt – räumlich wie zeitlich. Geographisch bewegen sich die Angebote von Deutschland bis nach Afrika, genauer gesagt, bis in den Senegal, und sogar bis in den Kosmos. Und damit ist auch zumindest eine zeitliche Dimension beschrieben: Alexander Krögers utopischer Roman „Sieben fielen vom Himmel“ spielt in der Zukunft, weit in der Zukunft. Am weitesten zurück, zurück in die Luther-Zeit, führt uns dagegen der Lucas-Cranach-Roman „Malt, Hände, malt“ von Renate Krüger.

Ein sehr genaues Anfangsdatum für die in seinem Buch „Viel erlebt – viel verpasst“ erzählte Geschichte gibt Autor Rudi Czerwenka an – denn es ist seine eigene Lebensgeschichte, die exakt am 4. April 1927 begann. In Breslau. Und Czerwenka war eine „richtige Breslauer Lerge“. Was das nun wieder ist? Lesen Sie einfach nach in den Memoiren von Czerwenka, die übrigens mit dem Besuch eines Journalisten vor einem runden Jubiläum und einer vorschnellen Antwort auf eine Frage des Besuchers zu tun haben.

Bleiben schließlich noch zwei Bücher, deren Handlungszeit eigentlich noch gar nicht so lange zurückliegt, aber inzwischen doch auch schon wieder historisch ist: „Bennys Bluff. Krimi für Kinder, Eltern und Großeltern“ von Klaus Möckel und „Die Leiche im Affenbrotbaum“ von Steffen Mohr. Letzterer Titel ist natürlich derjenige der aktuellen fünf Deals der Woche, welcher in Afrika spielt, genauer gesagt im Senegal. Der Landesname „Senegal“ wird im Deutschen laut Duden im männlichen Genus („der Senegal, im Senegal“) gebraucht. „Der Senegal“ ist ebenso die Benennung des Flusses Senegal. Der Name leitet sich vermutlich von der Berbersprache Zenaga ab. Der Senegalstrom, der dem Staat seinen Namen gab, ist der bedeutendste Fluss des Landes. Er entspringt als Bafing-Fluss im Fouta-Djalom-Plateau in Guinea und nimmt in Mali den Bakoyé sowie im Senegal den Falémé auf; auf einer Länge von etwa 500 Kilometern bildet er die Nordgrenze des Senegal. Ob Karl Bondel, ein Leipziger Journalist, das alles wusste, als er kurz nach der Wende einen teuren Urlaub im Senegal bucht …

Aber zurück aus Afrika nach Breslau: Erstmals 2004 brachte der Rostocker BS-Verlag unter dem Titel „Viel erlebt – viel verpasst“ die Erinnerungen von Rudi Czerwenka heraus. Er selbst erzählt, wie es zu seinen Memoiren kam: Als mein 75. Geburtstag heranrückte, meldete sich bei mir ein junger Journalist, um eine Würdigung für mich zu fabrizieren. Sein Chefredakteur hatte sich meiner erinnert, weil ihm, wie er mir später erzählte, bei seinem Berufsstart vor etlichen Jahrzehnten sein damaliger Vorgesetzter einen meiner Artikel vor die Nase gehalten und empfohlen hatte: So musst du schreiben. So was wollen die Leute lesen. So beginnt Rudi Czerwenka die Erinnerungen an sein Leben als Pennäler, Polizist, Lehrer, Familienvater, Buchautor, Dramatiker und eben als Journalist. – Ehm Welk ist nicht sein Mentor oder Lehrer, sondern sein „Patenonkel“. Es wird klar, der musste sich nicht verbiegen, als er für Werner Köfer und andere die Texte schrieb – der ist so. Es bleibt offen, ob alles, was er nicht beschrieb, wirklich verpasst wurde.

Und so gehen sie los die Memoiren von Rudi Czerwenka, der gleich zu Beginn jede Schuld an seiner Existenz von sich weist: „Völlig schuldlos bin ich daran, dass ich am 4. April 1927 geboren wurde, in der Hedwigsstraße im ehemaligen Breslau. Wenn man früher mit jemandem ins Gespräch kam und zugeben musste, dass man aus jener Metropole an der Oder stammte, dann hieß es unter Kennern: „Also eine richtige Breslauer Lerge.“ Dieser Ausdruck umfasst so ziemlich alles, was zwischen Schlafmütze und Windhund, zwischen Gemütsmensch und Pfiffikus eingeordnet werden könnte. Der Begriff ist zum Aussterben verurteilt, denn eine Übersetzung ins Polnische ist mir nicht bekannt.

Mein Vater hieß Rudolf Friedrich Johannes. So jedenfalls vermeldet es meine Geburtsurkunde. Ich kannte ihn nur als Hans, soweit er mir Zeit ließ, ihn überhaupt kennenzulernen. Er starb, als ich drei Jahre alt war. Ich habe also nur wenige Erinnerungen an ihn und seine Hinterlassenschaften. Letztere gingen mit dem Kriegsende und der Flucht meiner Mutter aus unserer schlesischen Heimat verloren. Nur die Erinnerungen leben weiter. Mein Vater war, als er seine Auserwählte ehelichte, schon ein welterfahrener Junggeselle und an die 50 Jahre alt, also 20 Jahre älter als sie. Damals heiratete man nicht so früh und so schnell und so unüberlegt wie heutzutage, dafür aber ließ man sich entsprechend der katholischen Kirchenregeln auch nicht so häufig scheiden. Ein Foto von ihm blieb erhalten. Es zeigt einen aufrecht sitzenden, wohlgekleideten Herrn mit scharf gezogenem Scheitel und Kaiser-Wilhelm-Bart, den würdevollen Blick auf die Kamera gerichtet. So ernst habe ich ihn nicht in Erinnerung.

Als mal ein Zeppelin über Breslau hinwegzog, nahm mich mein Vater auf den Arm und hielt mich schließlich fast aus dem Fenster hinaus, damit ich das entschwebende Luftschiff besser sehen konnte. Angesichts dieser Situation starb Mutti fast vor Angst und schrie auf. Ein anderes Mal sprang er, mich dabei emporwerfend, durchs Zimmer, bis ich dabei mit den kristallenen Zäpfchen des Kronleuchters in Kontakt geriet. Dieser Lüster, das Mitbringsel einer Italienreise, nahm mir diese Attacke noch jahrelang übel. Jene Zapfen waren mit Drähten an den bronzenen Schwingarmen befestigt, lösten sich manchmal schon beim Saubermachen und mussten dann wieder befestigt werden. Jahre später, als ich mich über den Lehrstoff der Schule hinausgehend auf eigene Faust mit der Elektrizität beschäftigte, hob ich ein solches Drähtchen vom Teppich auf, bog es u-förmig zurecht und steckte beide Enden gleichzeitig in eine der Wandsteckdosen. Es gab einen Knall, die Sicherung gab ihren Geist auf, und ich hatte eine blutende Wunde am Ellenbogen. Von meiner stets temperamentvoll reagierenden Mutti wurde ich anschließend entsprechend behandelt.

Mein Vater hatte noch weitere interessante Souvenirs gesammelt und hinterlassen: eine wunderschöne Eckvitrine mit kunstvoll geschliffenen Scheiben, eine auf geschwungenen Beinchen stehende Kommode mit abgerundeten Außenflächen und vergoldeten Schubladenknöpfen und eine Zither, schwarz, mit Elfenbein ausgelegt. Zu ihr gehörten Griffnoten, Papierbögen mit Zahlen, die man unter die Saiten schieben und dann auch ohne Fachkenntnisse auf dem Instrument spielen konnte. Die vermutlich wertvollsten Objekte jedoch waren jene goldenen, silbernen oder bronzenen alten Münzen, einsortiert in zwei mit Samt ausgelegte Kästchen. Die Augen gingen mir über vor Staunen, wenn Mutti mir mal in einer ruhigen Gedenkstunde einen Blick auf diese Schätze erlaubte. Anfassen durfte ich dabei nichts.

Die Soldaten der Siegermächte hatten wohl weniger Respekt und noch weniger Ahnung von dem Wert, als sie auch diese Kriegsbeute einstrichen. Ich war ja nicht dabei, und Mutti schwieg bis an ihr Lebensende über diese Ereignisse. Lediglich vom Schicksal ihres geliebten Klaviers berichtete sie wiederholt, denn an diesem Instrument verbrachte sie so manche Stunde. Sie besaß einen ganzen Stapel von Noten und spielte wie eine versierte Konzertpianistin. Es war eine Lust, ihr dabei zuzuhören. Nur wenn sie zu singen begann, hätte ich am liebsten das Weite gesucht.

Als die Russen einmarschiert waren, staunte Mutti, wie viele der primitiv aussehenden und ebenso auftretenden Rotarmisten sich an das Klavier trauten und nach kurzem Probegeklimper komplette Melodien hervorzauberten. Als die Kampftruppen nach der Einnahme Breslaus weiterzogen, rückten polnische Verbände nach. Sie luden das Klavier auf einen Lastwagen und fuhren damit davon, von Muttis durch Tränen getrübten Blicken verfolgt. Sie musste zusehen, wie die Ladung in einer Kurve am Bahnhof vom Transportfahrzeug fiel und als Trümmerhaufen zurückblieb. Ihr blieben nur noch die Notenhefte, auch jene ohne Deckblatt, wo einst die Namen der jüdischen Komponisten gestanden hatten. Wer Mendelsohn oder andere zu Hause hatte, lebte in der Hitlerzeit gefährlich.“

Erstmals 1969 erschien im Verlag Neues Leben Berlin der utopische Roman „Sieben fielen vom Himmel“ – als 1. Teil der Centauren-Trilogie. 2003 wurde er im KRÖGER-Vertrieb Cottbus. Dem E-Book liegt die überarbeitete Auflage zugrunde, die 2008 im Projekte-Verlag Cornelius GmbH, Halle erschien: Sieben Astronauten gelingt es nach der Havarie des Mutterschiffes, sich auf einen Planeten, den sie „Hoffnung“ nennen, zu retten. Doch dort müssen sie mitten im Dschungel überleben. Die technisch hochstehenden Bewohner der Welt, die ihnen vielleicht helfen könnten, sind zunächst nicht zu finden. Doch wer sind eigentlich diese Astronauten?

Alexander Kröger hat seinen Debütroman von 1969 im Jahre 2008 in einer überarbeiteten Neuauflage als 1. Teil der Centauren-Trilogie herausgebracht. Um sich einen Eindruck vom diesem Buch zu verschaffen, soll hier ein Kapitel als Lesestoff angeboten werden. Allerdings ist es nicht wie sonst meist bei uns üblich das erste Kapitel, sondern das zweite.

„Die wenigen Tage im Raumschiff, die bis zum Start nach dem bläulich leuchtenden Dritten Planeten verblieben, vergingen schnell. Die Besatzungsmitglieder arbeiteten unter Einsatz aller Kräfte. Es blieb nur kurze Zeit für persönliche Gespräche bei Tätigkeiten, die dieses zuließen. Alle übrigen Stunden wurden für die notwendige Regenerierung des Organismus, für den Schlaf, benötigt. Nur einer kleinen Gruppe, gebildet aus dem Chefingenieur, dem Mathematiker und dem Funker, oblag die Überwachung des Standortes. Sie beobachteten ständig den Planeten Vier, den Roten, wie sie ihn nannten, seine beiden kleinen Monde und den Raum in unmittelbarer Nähe des Schiffes. Ferner hatte diese Gruppe Daten über den nun sichtbaren Dritten Planeten zu sammeln, soweit das aus der riesigen Entfernung mit den wenigen Hilfsmitteln des Schiffes möglich war.

Die weitere Beobachtung des Vierten Planeten bekräftigte den Eindruck, den sie sofort nach dem Einsteuern in die Kreisbahn bekamen: Eine Landung ohne die Möglichkeit eines Starts wäre gleichbedeutend mit einem langsamen Tod. Im gleißenden Sonnenlicht, im Teleskop deutlich sichtbar, bot sich den Astronauten ein trostloses, unheimliches Bild von Sandwüsten, zerklüfteten Felsen und Trockenrissen. Die sichtbare weiße Polkappe bestätigte auch, dass Wasser in der Atmosphäre nicht gänzlich fehlte. „Es wird wenigstens vierzehn Umläufe des Planeten Vier dauern, bevor ein Entsatzschiff der Heimat den ehemaligen Standort der GALAX 2 erreichen wird. Wenn sie dann gleich die von uns auf eine Kreisbahn um den Fünften Planeten gebrachte Sonde finden, brauchen sie mehr als einen weiteren Umlauf bis hierher zum Roten Planeten. Die Konstellation wird dann nicht so günstig sein wie jetzt.“ Ernst, sachlich berichtete Mangk, als er nach dem Abschluss des Einsteuermanövers seine Berechnungen vorlegte: „Theoretisch würden wir etwa drei Jahre hier leben können - außerhalb des Landeschiffes ausschließlich im Skaphander und vorausgesetzt, dass die Verflüssigungsmaschine zur zusätzlichen Sauerstoffgewinnung aus der Atmosphäre niemals versagt und wir mit unseren Vorräten äußerst sparsam umgehen. Dauernde Regeneration des Wassers, der Nährstoffe, das Bestehen unbekannter Gefahren, dieses ewige Wandern der Sandwüsten, und das Wesentlichste: Keine Hoffnung, etwas zu finden, das unsere Ernährung sichert - all das bewegt mich zu dem Vorschlag, nicht zu landen! Der Dritte Planet des Systems hat genügend Sauerstoff. Ich meine, wir sollten versuchen, zu ihm zu gelangen!“

Deutlich erinnerte sich Min dieses Berichts. Sie stand neben Surki am Fenster, wenige Stunden vor dem Start zum Dritten Planeten. Die leuchtende Scheibe des Vierten nahm den Schirm ein. >Mangk hat recht, wir alle haben recht<, dachte Min, >es ist so logisch, dass wir wegfliegen, aber was erwartet uns? Erreichen wir den Dritten? Wie empfängt er uns?< Surki starrte in das Bild, sah zu Min auf und senkte dann den Blick. „Was wird werden, Min?", fragte sie. „Es wird alles gut, Surki! Trauere diesem roten Koloss nicht nach, komm ...“ Min sprach laut, um das Würgen in ihrer Kehle zu überrumpeln. Der Start zum Planeten Drei verlief normal. Langsam zog das Schiff seine Bahn, gerade so beschleunigt, dass es dem Gravitationsfeld des Vierten entrinnen konnte. Borl hatte die Eigenrotationszeit des Dritten berechnet. Danach verblieben bis zum Umsteuern in die Landebahn 139 ER, eine Zeit, die den Astronauten viel zu kurz erschien, um alle möglichen und notwendigen Daten ihrer Umgebung und des näher kommenden Planeten mit seinem Mond aufzunehmen und zu verarbeiten.

Am 51. Tag zerriss ein weittragendes Ereignis den Rhythmus der Arbeit und ließ das Ziel, den Dritten Planeten, übermächtig in den Mittelpunkt treten: Kark, dem der gesamte Funkdienst oblag, hatte bei seinen täglichen radiometrischen Messungen während einer unbeabsichtigten Veränderung des Frequenzbereiches auf dem Schirm neben den Messimpulsen ein rhythmisches Aufleuchten bemerkt. Er unterbrach sofort die Routinearbeiten, verständigte den Kommandanten und war gleichzeitig bemüht, die Zeichen zu verdeutlichen. Eine Kontrolle der Frequenz ergab, dass sie nicht mit jener übereinstimmte, auf der schon einmal über eine kurze Zeitspanne unverständliches, aber systematisches Signalgewirr empfangen worden war. Dieses und einzelne Daten über die Beschaffenheit der Planetenoberfläche und der Atmosphäre waren Anlass zu der Vermutung, dass der Dritte Planet möglicherweise von vernunftbegabten Wesen bewohnt sei. Das Gewirr war auch wiederholt bei der Annäherung an ihren jetzigen Standort aufgefangen worden.

Der Kommandant kam sofort in den Funkraum und beobachtete ebenfalls gespannt die Handgriffe Karks, der sich bemühte, durch vorsichtiges Bewegen des Außenreflektors die Impulse zu verdeutlichen. Als die Zeichen ein Optimum an Schärfe erreicht hatten, gab er die Impulse auf den Lautsprecher. Sofort war die kleine Kabine von einem starken Rauschen erfüllt, in welches rhythmische Signale in ungleichmäßigen Abständen mit einer eigenartigen Tonfarbe eingelagert waren. Vorsorglich hatte Kark einen Speicher zugeschaltet.

Die merkwürdigen, immer in einer Tonhöhe bleibenden Laute verstärkten sich. Gespannt lauschten die beiden Männer. Die Zeichen, obgleich sie an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließen, blieben unverständlich. „Es klingt zumindest ähnlich wie einiges aus dem Signalgemisch, das wir letztens auffingen“, unterbrach der Kommandant die lastende Atmosphäre, die durch flackernde Kontrolllampen, überlautes Summen, vor allem aber durch das Unverständliche in der engen Kabine herrschte. „Die Frequenz ist anders.“ Der Kommandant überzeugte sich mit einem schnellen Blick zur Skala. „Entfernung?“ „Schwer zu sagen.“ Der Funker machte eine unschlüssige Bewegung. „Der Reflektor zeigt genau auf Planet Drei. Wenn man wüsste, mit welcher Intensität die Zeichen ausgestrahlt werden ...“ „Jedenfalls steht nunmehr fest“, Chalo sprach ruhig, ohne aber seine innere Erregung völlig verbergen zu können, „dass diese Zeichen nicht zufällig durch Schwingungsüberlagerungen, Reflexion unserer Messwellen oder durch einen anderen, unbekannten Effekt hervorgerufen werden, sondern dass vernünftige Wesen ihre Urheber sind ...“

Ein starkes Rauschen und das langsame Abklingen der Signale lenkte die Aufmerksamkeit Karks auf die Apparatur. Durch schnelles Umschalten auf den Oszillographen und Überprüfung der Feinregulierung überzeugte er sich, dass der Bereich immer noch optimal eingestellt war. Die Richtung, aus der das Raumschiff die Zeichen auffing, hatte sich nicht geändert. Ständig nahm die Lautstärke ab, bis schließlich, auch bei angestrengtestem Hören, nur noch das eintönige Rauschen aus dem Lautsprecher drang. „Nicht weiter suchen.“ Chalo berührte Kark, der fast verzweifelt herumschaltete. „Lass das Gerät mit voller Lautstärke auf Empfang stehen und suche über die Leitkanäle weiter. Ich rufe alle zu einer kurzen Aussprache. Du bleibst hier, weißt ja ohnehin, um was es gehen wird. Die Aufzeichnungen nehme ich einstweilen mit.“

Sie waren sich in den letzten Tagen noch nähergekommen. Wenn auch keine Zeit blieb, um Gespräche über Persönliches zu führen, über Ziele oder Pläne, so hatten sie doch das gleiche Schicksal, das gleiche Ziel und die Tatsache, auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen zu sein, einander nähergebracht, als es das langjährige Zusammensein auf der GALAX 2 vermocht hatte. Die plötzlich anberaumte Zusammenkunft löste Erstaunen aus. Es musste schon ein sehr wichtiges Ereignis sein, das den Kommandanten veranlasste, in der knapp bemessenen Vorbereitungszeit diese einzuberufen. Die Spannung ließ sich aus den Gesichtern ablesen.

Sie kamen, wie sie waren - meist in Arbeitskitteln - aus der Werkstatt, in der die Landekabinen ihrer Vollendung entgegengingen. Der Chefingenieur hatte ein zangenähnliches Werkzeug in der Tasche seines Kittels, das bei jeder Bewegung an den Körper schlug. Nachdem Chalo sich überzeugt hatte, dass außer dem Funker alle anwesend waren, erklärte er den Grund der Zusammenkunft: „Nur kurz zur Information und Beratung. Wir wollen nicht viel Zeit verlieren, es ist jedoch möglich, dass schnellstens Beschlüsse gefasst werden müssen, und da diese mit weittragenden Folgen verbunden sein können, hat die gesamte Besatzung darüber zu entscheiden. Kurz: Es ist zur Gewissheit geworden, dass in nicht allzu großer Entfernung von uns vernunftbegabte Wesen beheimatet sind oder sich zumindest aufhalten. Diese Signale“, er drückte auf eine Taste des Wiedergabegerätes, „hat Kark vor ganz kurzer Zeit aufgefangen.“ Im Raum war es still. Sie blickten gespannt auf das Gerät. Plötzlich ertönte wieder das Rauschen, aus dem wenig später überlaut die Signale drangen. Der Kommandant verringerte die Lautstärke und flüsterte mit Mangk. Dieser ging, wie es schien ein wenig widerwillig, aus dem Raum. Schließlich wollte keiner gern auf die zu erwartende Beratung verzichten, obgleich der Bordfunk zugeschaltet werden konnte.

Keiner sprach. Die Zeichen klangen noch laut und deutlich aus den Lautsprechern, als Kark im Gemeinschaftsraum erschien. Er sollte als Fachmann funktechnische Fragen klären helfen. Als Ruhe eintrat, stellte der Kommandant an Borl die alle bewegenden Frage: „Siehst du eine Möglichkeit, die Zeichen zu entziffern?“ Borl überlegte. „Gewiss“, meinte er bedächtig, „aber nicht so bald, da ich den Schlüssel nicht kenne. Wie ich meine“, damit wandte er sich an Kark, „sind die Zeichen hinsichtlich ihrer Länge moduliert.“ Der Funker bestätigte durch eine Kopfbewegung. „Wenn es uns gelingt, weitere Zeichen aufzufangen, sehe ich eine Möglichkeit, wenigstens den Sinn einiger Einzelinformationen oder einzelner Sentenzen zu erfassen.“ „Wir versuchen es. Es kann jedoch ein Zufall sein, dass uns diese Aufnahme gelungen ist.“ Die Worte des Funkers klangen wenig optimistisch. „Ist es denn sicher“, meldete sich Surki, „dass die Zeichen vom Planeten kommen?“ Chalo erklärte: „Es gibt meiner Meinung nach drei, nein, vier Möglichkeiten. Vielleicht können wir die eine oder andere davon ausklammern: Erstens: die Zeichen stammen vom Mond des Dritten Planeten. Zweitens: die Signale kommen vom Dritten Planeten, und wir haben sie direkt empfangen. Drittens: Bewohner des Planeten unternehmen die ersten Schritte zur Erforschung des Weltraumes, und sie haben zu diesem Zweck künstliche Satelliten oder Raumstationen gestartet, die nunmehr senden. In diesem Falle müssten sich die Zeichen periodisch wiederholen. Das wird die Zukunft zeigen. Viertens: nicht der vor uns liegende Planet ist bewohnt, sondern ein anderer der hiesigen Sonne - oder es sind außer uns noch Raumfahrer eines anderen Systems in der Nähe. Und diese Wesen unterhalten Funkverbindungen mit ihrer Heimat, oder sie haben eine unbemannte Station ausgesetzt, die Warnzeichen oder andere Informationen sendet.“

Rilt schaltete sich ein: „Wenn die erste Variante zuträfe, müssten die Zeichen noch deutlicher ankommen und vor allem nicht so kontinuierlich verklingen. Es wäre natürlich denkbar, dass, wenn schon keine bemannte, so doch eine automatische Station auf dem Mond des Dritten steht. Der Planet hat eine dichte Atmosphäre, deren oberste Schichten ganz gewiss ionisiert sind. Es ist daher kaum anzunehmen, dass Funkzeichen mit dieser Frequenz in einer solchen Intensität von dort zufällig zu uns dringen. Es müssten schon sehr leistungsstarke Strahlen sein, die aber normalerweise auf bestimmte Objekte gerichtet werden. Ein solcher Richtstrahl könnte nur durch eine Kette von Zufällen zu uns gelangen ...“ „Und wenn wir das Objekt sind, dem die Wellen gelten?“, warf Min erregt ein. „Dann dürften die Zeichen nicht schwinden. Außerdem glaube ich nicht daran. Unser winziges Schiff aus dieser Entfernung zu entdecken, setzt eine sehr hochentwickelte Radartechnik voraus, und die können wir nach alldem, was wir hier bisher festgestellt haben, nicht annehmen. Ich meine, dass die Signale nicht direkt vom Blauen Planeten kommen, sondern von einem künstlichen Satelliten!“ „Ich halte auch die vierte Version für sehr unwahrscheinlich“, nahm Borl nach dem Funker das Wort. „Es wäre wiederum ein ausgesprochener Zufall, wenn gerade zum Zeitpunkt unseres Eintreffens hier auch noch andere Weltenwanderer in der Nähe wären. Ich bin auch ...“

Plötzlich ertönte ein Summerton. Sie blickten überrascht zum Lautsprecher. Aufgeregt meldete sich Mangk: „Achtung, ich habe wieder Signale eingefangen, ich lege sie auf den Bordfunk, Augenblick ...“ Wieder starkes Rauschen aus dem Lautsprecher, dann ganz leise Töne. Der Rhythmus und die Tonlage waren im Vergleich zu den ersten Zeichen anders, der Empfang schlechter. Aber unverkennbar, es musste ein ähnliches System sein. Aber auch diese Zeichen verklangen allmählich, bis das Rauschen den Raum wieder ganz ausfüllte. Eine starke Erregung hatte sich der Anwesenden bemächtigt. „Ein zweiter Satellit.“ „Versuche, mit uns auf einer anderen Frequenz in Verbindung zu kommen.“ Erregt gingen die Vermutungen hin und her. Der Kommandant schaltete zur Funkkabine. „Bitte die Frequenz und die Richtung.“ Der Stimme Chalos merkte man die Erregung nicht an. „Frequenz fast hundert mehr als die ersten Zeichen, Richtung nur um weniges verschieden. Die Intensität geringer. Anlage eins zeigt nichts Neues“, ertönte es knapp aus dem Lautsprecher. „Anlage zwei ebenfalls eingeschaltet lassen! Aufnahmegeräte und Bordfunk anschließen, dann kannst du herkommen, Ende. Ich bin vorhin durch die neuen Signale unterbrochen worden“, sagte Chalo ruhig. „Sie bestätigen die Ansicht, dass es sich um Satelliten handelt, die im Orbit kreisen. Vielleicht handelt es sich um mehrere, die getrennte Aufgaben haben und auf unterschiedlichen Frequenzen senden. Merkwürdig finde ich, dass sich die Impulse des ersten Signals von denen des zweiten unterscheiden. Die Einzelzeichen müssten annähernd gleich sein, es sei denn, es läge ein anderer Schlüssel zugrunde, und das wäre wieder unverständlich.“

Während der Kommandant sprach, war Mangk eingetreten. Er hatte die letzten Worte mitgehört. Als Chalo schwieg, sagte er zögernd: „Beim Suchen über die Leitkanäle war es mir mehrmals so, als ob in dem starken Rauschen wieder ähnliche Signalgewirre, wie wir sie schon einmal empfangen hatten, eingelagert gewesen wären. Das Bemerkenswerte daran ist, dass es sich immer um den gleichen Frequenzbereich handelt.“ „Wichtiger ist“, bemerkte die Ärztin, „gleichgültig, ob sich die Signale wiederholen oder nicht, was wir un...“ „Still!“ Kark war an den Bordlautsprecher getreten. Die Ärztin verstummte.

Alle lauschten. Und jetzt hörten sie es auch: Kaum vernehmbar ertönten wieder die Laute. Sie schwollen an, erhoben sich langsam über das Rauschen, wurden noch lauter. Die kurzen und langen Impulse füllten den Raum. Min hatte den Eindruck, als ob sich die Töne auf ihre Atemorgane legten, als ob ihr der leichte Anzug plötzlich zu eng wäre. Sie blickte zu Mangk, auch er war erregt. Deutlich ließ sich das Einsetzen und Abreißen der einzelnen Impulse unterscheiden. Sie schienen ihr Lautstärkemaximum erreicht zu haben. Eine ganze Weile hielten sich die Zeichen in gleicher Intensität. Dann gingen ganz allmählich Härte, Schärfe und Lautstärke zurück. „Ein Satellit!“ Bestimmt sagte das Chalo in das allgemeine Schweigen hinein. „Bin auch der Meinung.“ „Kaum anders denkbar.“ Von allen kam Zustimmung. „Und ob das zweite Signal auch von einem Satelliten kommt, wird sich feststellen lassen«, sagte Kark, „es müsste sich dann ebenfalls wiederholen.“ „Und warum ist es schwächer?“, fragte Min. „Vielleicht ein schwächerer Sender, oder sein Bahnradius ist kleiner und er ist weiter von uns entfernt - ach, da gibt es viele Erklärungen.“ „Aber es kann nur ein Satellit sein“, sagte Borl. „Das langsame Anschwellen und das Abklingen beweisen es. Einmal befindet sich der Planet zwischen uns und dem Satelliten und einmal der Satellit zwischen uns und dem Dritten. Möglicherweise gelingt es, einiges über die Aufgaben des Satelliten herauszubekommen.“ Er hatte sich in Eifer geredet. Man sah es ihm an, dass er am liebsten gleich losgegangen wäre, um sich in die Arbeit zu stürzen. Aber noch war die Beratung nicht zu Ende.

Der Kommandant war nachdenklich geworden. Er wusste, dass die Gefährten von ihm jetzt Vorschläge über das weitere Verhalten erwarteten. Er hatte aber auch die Verantwortung: Jeder voreilige Entschluss konnte katastrophale Folgen haben. „Es steht nunmehr fest“, sagte er, „dass in unserer Nähe, wahrscheinlich auf dem Dritten, vernunftbegabte Wesen leben. Da wir nicht wissen, wie sie auf unser Kommen reagieren werden, sollten wir vorsichtig sein. Ich ordne deshalb an: Ab sofort absolute Funkstille! Die Landevorbereitungen so schnell wie möglich beenden! Die Messungen unserer Bahnparameter nehmen wir von nun an nur noch optisch vor. Die Tatsache, dass sich unsere Frequenzen von denen der Satelliten unterscheiden, dürfte uns bisher vor einer Entdeckung bewahrt haben.“ „Wäre es nicht vielleicht richtiger und – nützlicher“, gab Rilt zu bedenken, „schon jetzt zu versuchen, mit diesen Wesen Verbindung zu bekommen? Es muss doch auch für sie - noch dazu, wo es erwiesen ist, dass sie auf einer hohen Entwicklungsstufe stehen - ein erfreuliches Ereignis sein, mit Wesen ferner Welten Kontakt aufzunehmen. Vielleicht könnten wir in unserer schwierigen Lage Hilfe erhalten.“ „Du hast sicher recht“, entgegnete Chalo ernst, »und ich hoffe sehr, dass es so kommen wird. Ich bezweifle jedoch einerseits die technischen Möglichkeiten zur Aufnahme einer Funkverbindung ...“ Kark bestätigte durch eine Kopfbewegung. „... zum anderen bitte ich dich Folgendes zu bedenken: Wären uns vor hundertfünfzig Jahren Gäste aus dem Weltall immer willkommen gewesen? Hätte es nicht auch Bedenken gegeben, zum Beispiel wegen der technischen Überlegenheit solcher Besucher? Außerdem ist nicht gesagt, dass diejenigen, die eine fortgeschrittene Technik haben, auch ethisch hochstehend sind. Es ist vorstellbar, dass sich auf irgendeinem Planeten eine Entwicklung vollzieht, die außerhalb der eigenen keine andere Lebensform anerkennt oder – was schlimmer ist - nicht erkennt. Wer sagt uns nun, dass die hiesigen Lebewesen nicht in einer derartigen Entwicklung stehen oder dass nicht schon vor uns Wesen anderer Welten hier waren und einen schlechten Eindruck hinterließen? Landen müssen wir, es bleibt uns keine Wahl. Ist es da nicht klüger, die Verhältnisse kennenzulernen und dann erst Kontakt aufzunehmen? Wir sind doch in jedem Fall im Nachteil! Selbst die Ausrüstung unseres kleinen Schiffes ist, gemessen an dem technischen Arsenal, das uns in unserer GALAX zwei zur Verfügung stand, primitiv - und das wenige müssen wir noch zurücklassen. Wir haben dann nur das, was wir tragen können. Allerdings möchte ich die Entscheidung, keine Funkverbindung aufzunehmen, nicht allein treffen. Ich bitte nachher um eine Abstimmung. Mich bedrückt nämlich Folgendes: Unsere Landung ist risikoreich. Wenn die Planetenbewohner nun in der Lage wären, uns zu helfen, und uns unter geringeren Gefahren auf die Oberfläche brächten ... Aber, sie müssten das Rendezvousproblem gelöst, im Orbit Stationen haben. Noch glaube ich an eine solche Möglichkeit nicht, möchte aber meine Meinung niemandem aufzwingen. Ohne diese Voraussetzung können wir weder auf Rettung durch Umsteigen noch durch Abschleppen hoffen.“ Es entstand eine Pause. „Ich glaube, eine Abstimmung ist nicht nötig.“ Mangk blickte von einem zum anderen. „Wir landen, wie festgelegt. Es ist in jedem Fall das kleinere Risiko.“ Es herrschte allgemeine Zustimmung.

„Eines noch“, warf Chalo ein, „unser Leben wird in Zukunft eng mit dem unbekannten Planeten verbunden sein - oder glaubt einer an einen Misserfolg der Landung?“ Er blickte lächelnd in die Runde. „Ich schlage deshalb vor, dass Mangk schnellstens noch fehlende Parameter des Planeten errechnet, auch solche, die uns zur Zeit nur am Rande interessieren. Hier stehen uns noch Hilfsmittel zur Verfügung. Wir können natürlich den Computer nicht mitnehmen.“ „Dann bleibt uns nur zu hoffen, dass es auf dem Planeten tatsächlich Rechenautomaten gibt. Ich fürchte sonst für Boris Gesundheit. Wenn er nicht rechnen kann, wird er melancholisch.“ Kark grinste. Die anderen lächelten; Borl zog eine tragikomische Miene. „So, nun an die Arbeit! Ich kann es kaum erwarten, hier aus dem Käfig herauszukommen. Ich möchte auch bald den Schönen des Blauen meine Reverenz erweisen!“ „Warte ab“, entgegnete Chalo, auf den scherzhaften Ton Karks eingehend, „vielleicht sind die Schönen nach unserem Geschmack alles andere als schön - vielleicht gibt es überhaupt keine Zweigeschlechtlichkeit. Ich glaube, wir sollten versuchen, nicht mit unseren Maßstäben zu messen. Die Überraschungen sind sonst zu groß und zu unangenehm. Wenn auch die Entwicklung des Lebens überall dort, wo die Voraussetzungen dafür gegeben sind, annähernd gleich sein mag, so können sich doch die Formen grundlegend voneinander unterscheiden. Aber wem sage ich das!“ Damit war die Zusammenkunft zu Ende. Jeder nahm seine Arbeit wieder auf, voller Gedanken und gespannt auf die kommenden Ereignisse.“

Malt, Hände, malt“ – so lautet der Titel des Romans von Renate Krüger über Lucas Cranach d. Ä., der erstmals 1975 im Leipziger Prisma-Verlag Zenner und Gürchott erschienen war: Ein biografischer Roman ermöglicht Annäherung an eine Persönlichkeit, will aber nicht eine Dokumentation ersetzen. Vorherrschende Gestaltungsmittel sind Emotionen, Beschreibungen und Handlungen. Der Roman „Malt, Hände, malt“ über den Maler Lucas Cranach (1472-1553) beansprucht ein hohes Maß an dichterischer Freiheit bei Verwendung und Gestaltung der historischen Tatsachen, insbesondere durch die Einbindung des Familiären in die Zeitereignisse und die Versuche, das Innere des Malers literarisch und psychologisch zu ergründen. Freie Erfindungen sind erlaubt, dürfen aber nicht die Grenzen des Möglichen und Glaubwürdigen überschreiten. Es geht um frei nachgestaltetes Leben, nicht um eine Biografie von dokumentarischem Wert. Dem berechtigten Informationsbedürfnis des Lesers wird in einer ausführlichen Zeittafel Rechnung getragen. Die Persönlichkeit des berühmten Wittenberger Malers und Unternehmers bietet viele gestalterische Möglichkeiten. Unter Cranach mit seinem eigenen unverwechselbaren Stil wurde das weithin unbekannte Wittenberg zu einem künstlerischen Zentrum. Cranach selbst wurde als Hofmaler des sächsischen Kurfürsten Friedrichs des Weisen zu einer nicht unwichtigen Figur im politischen Schachspiel seiner Zeit, besonders durch seine Vernetzung mit wichtigen Zeitgenossen, vor allem mit dem Reformator Martin Luther. Cranach war es, der das Lutherbild schuf, das durch Jahrhunderte Gültigkeit behielt.

Der Roman bettet die Bilder in Handlungen ein und erhöht somit den emotionalen Faktor. Cranach hatte einen Blick für alle Bereiche des Lebens, die er rastlos in Bilder umsetzte. Mit dem einen Auge sah er die liebliche Madonna, mit dem anderen die lüsterne Venus. Er vollführte eine Gratwanderung zwischen erlesenster Qualität und marktgerechter Produktivität. Er war Künstler, Geschäftsmann und strebte nach Macht und Establishment. Aber er fand auch immer wieder zur Selbstkritik und zur Ehrlichkeit zu sich selbst. In einem (fiktiven) inneren Monolog Cranachs heißt es: „Trinken wir auf Lucas Cranach, den Hofmaler des Kurfürsten von Sachsen! Trinken wir auf Cranach, den Weinherrn der Stadt Wittenberg! Und auf Cranach, den Herrn der Wittenberger Apotheke! Trinken wir auf Cranach, den Druckherrn! Und auf Cranach, den Ratskämmerer!“ Und schließlich: „Trinken wir auf Cranach, den Bürgermeister!“ Aber da ist noch das jugendliche Bild des Humanistenfreundes Cuspinian aus den Aufbruchsjahren, der Blick in die Ferne gerichtet, in den Händen ein noch geschlossenes Buch, im Hintergrund einen Baum mit den ersten Blättern, frei umherflatternde Vögel, eine verlassene Festung. Was hält das Leben bereit? Krügers Roman „Malt, Hände, malt“ erschien übrigens auch in ungarischer Sprache.

Hier kommt - aber nicht auf Ungarisch, sondern auf Deutsch - das 1. Kapitel des Buches, in dem wir ein gewisses Kronach kennenlernen und den berühmten Maler auf einem Pferd durch die Gegend reiten sehen – Richtung Heimat, Kronach eben: „Kronach ist nicht die geringste unter den oberfränkischen Städten, aber nicht einmal seinem Bürgermeister würde es in den Sinn kommen, es höher zu stellen als die Nachbarstädtchen mit ihren lang vertrauten Namen: Berneck, Kulmbach, Staffelstein oder Lichtenfels. Sie alle ducken sich unter dem Schutz der Veste Coburg, wohin sich des Öfteren der allergnädigste Herr Kurfürst von Sachsen zurückzieht. Man ist geschützt, und man ist abhängig. Man spricht die Sprache der Franken und tanzt nach der Pfeife der Sachsen. Man ist nicht Nürnberg und hat keine eigene Melodie. Aber einen kleinen Stolz hat man doch, und man erhält ihn mit allerlei Wirtshauswortreichtum am Leben, auch wenn man die Augen auf die Veste Coburg richtet.

Unverwandt schaut der Stadtknecht am Tor auf die Coburger Landstraße, während die Schatten der Bäume, Sträucher, Mauern und Häuser länger und länger werden. Der Sommer hatte es eilig, Äpfel und Birnen sind schnell gereift und klein geblieben, in einigen Wochen wird man die letzten Früchte einholen. Auch gut. Soll der Winter kommen, in Kronach sind die Vorratskammern gefüllt. Auch die des Stadtknechtes. Er denkt daran, wie es in seinem Keller duften wird. Doch er soll ja nicht träumen, er hat eine wichtige Aufgabe: Ausschau soll er halten nach Coburg! Von dort wird Lucas der Maler kommen, der Sohn des berühmten Malers Sunder aus Kronach - einige nannten ihn auch Möller -, der zu Beginn des Sommers selig in Gott entschlafen ist. Seinen Ältesten hat er nicht mehr gesehen, der war zu weit weg. In Kronach gab es einst keinen Platz mehr für ihn, doch er soll es in der Ferne, in Wittenberg, zu Ansehen und Reichtum gebracht haben. Auch gut.

Nun wird ihn der Kronacher Rat mit Ehren empfangen, die beiden Ratsstuben sind schon gekehrt und geschmückt. Soll er also kommen, Lucas der Maler, der im Dienste des allergnädigsten Herrn Kurfürsten von Sachsen gerade auf der Veste Coburg einige Bilder restauriert. Das ist klug von ihm, so verschafft er sich Ansehen auch in Kronach. Wie soll der Stadtknecht den Sohn des Meisters Sunder anreden? Er hat den Lucas schon als Kind gekannt, ein Kronacher Kind wie die anderen, doch nun Maler des Kurfürsten, mit der Tochter eines Bürgermeisters verheiratet und sogar in hohem Ansehen beim Kronacher Rat ... Es wäre nicht ausgeschlossen, dass er es in Kronach zum Ratsherrn, wenn nicht zum Bürgermeister bringt.

Lucas der Maler reitet derweil singend durch einen dichten Wald. Er liebt den Wald über alles, doch nicht nur Lebensfreude treibt den Gesang aus seiner Kehle. Auch Furcht. Jeder, der auf einem guten Pferd durch den Wald reitet, fürchtet sich, selbst ein gepanzerter Ritter. Über den Wald hat die Veste Coburg keine Macht. Im Wald leben die Gesetzlosen, die sich nehmen, was man ihnen nicht gibt. Die Gestalten von wilden Männern und Frauen in zottigem Haarpelz und von übermenschlichen Kräften leben in der Furcht des Volkes, und die Herren leben von dieser Furcht des Volkes. Das Volk soll beim Gesetz bleiben und sich vor den Gesetzlosen fürchten, die Reisende und Wanderer ausrauben und erschlagen. Lucas hat nicht viel Geld bei sich, aber das Pferd ... Sollte ein kurfürstliches Pferd den Waldmenschen nicht besonders in die Augen stechen? Nichts rührt sich. Er begegnet niemandem. Er sagt seinen Namen vor sich her wie eine Beschwörung. Er hat einen Namen beim allergnädigsten Herrn Kurfürsten, und die daheim werden sich wundern, wenn er ihnen diesen Namen sagt, wenn er ihn zeigt, ja zeigt, denn dieser Name ist aufgeschrieben wie ein Gesetz; er, Lucas der Maler, wird niemals zu den Gesetzlosen gehören ...

Das Malerhaus am Markt gehört zu den größeren Kronacher Bürgerhäusern. Es war ein festlicher, unvergesslicher Tag, als Meister Sunder sich endlich dieses Haus kaufen und seine Werkstatt darin einrichten konnte. In diesem Haus konnte die Kunst des Sohnes heranwachsen, doch für zwei Meister war es zu eng. Lucas war fortgezogen und nicht zurückgekehrt. Nun hat Meister Sunder dieses Haus verlassen - für immer. Der junge Meister kann einziehen, endlich! Die Witwe Sunder sitzt an einem Fenster des oberen Stockwerkes, sieht auf den Markt hinunter und in die Straße, die zum Coburger Tor führt, und wartet. Es ist lange her, seit der Sohn zuletzt daheim war. Jetzt muss er kommen und Ordnung schaffen, die Spreu vom Weizen trennen, den guten Nachlass zu guten Preisen verkaufen, denn die Witwe Sunder braucht etwas, wovon sie leben kann, und sie möchte nicht schlechter leben als bisher. Schmalz und Bier sind ohnehin nie reichlich gewesen, Brot und Wachs jedoch haben immer genügt. Der Magen knurrte keinem vergeblich, an Kerzen musste man nicht sparen. Ein gutes Handwerk ernährt die Familie, wenn der Meister fleißig ist und die Meisterin das Geld zusammenhält. Ihr eigener Vater war ein fleißiger, guter Schuhmacher gewesen, und noch heute stecken manche älteren Füße in seinen Schuhen. Ihre Mutter hatte lieber die pralle Geldkatze gestreichelt, als dass sie das runde Geld rollen ließ. Wie wird Barbara sein, die Schwiegertochter? Ihr Vater ist Bürgermeister, man braucht sich ihrer nicht zu schämen in Kronach. Sie wird sich des Ansehens ihres Schwiegervaters würdig erweisen können, mit Stolz seine Bilder in den Kirchen und in den Bürgerstuben betrachten. Nun gehören die Kronacher Malflächen dem Sohn, ihrem Ehegemahl. Der Zunftstuhl in der Kirche ist sein Eigentum. Und er findet ein großes Haus vor, alles gehört ihm. Trotz aller dieser angenehmen Gedanken erinnert sich die Witwe Sunder an einen Traum, der sie in Angstschweiß versetzt hatte. Der Sohn war gekommen, doch er wollte nicht bleiben. Er fühlte sich nicht mehr wohl in diesem großen neuen Haus, er hatte sich daran gewöhnt, in Schlössern zu leben und zu arbeiten, er stieß sich den Kopf an den niedrigen Decken der Kronacher Zimmer, er klagte über den muffigen Geruch und über das Nebeneinander von wertvollen Möbeln und zerbrochenem Gerümpel. Er nahm dem Pferd nicht einmal den Sattel ab ...

„Ist er noch immer nicht zu sehen, der Lucas?“ Anna Sunder fährt herum, und ihr Unmut über den Traum entlädt sich über ihren Sohn Matthes, der in der Tür steht. „Wie siehst du aus! Blaue Farbe im Gesicht! Grün am Hemd! Wie vorsichtig hat dein Vater gemalt! Ich kann mich nun wieder mit den Flecken plagen. Nein, er ist noch nicht zu sehen. Wasch dich und zieh dich ordentlich an. Wo ist Thomas?“ „Im Wirtshaus.“ Ist das auch ein schlechter Traum? Lucas will nicht bleiben, und Thomas ist im Wirtshaus? „Im Wirtshaus? Am helllichten Tag, mitten in der Woche? Und gerade dann, wenn wir auf den neuen Hausherrn und Meister warten? Was ist in Thomas gefahren?“ Matthes zieht die Schultern hoch. „Du weißt ja, der Thomas und der Lucas ...“ „Geh jetzt und wasch dich! Es wird Zeit, dass der Lucas kommt und Ordnung schafft. Er muss es tun, er ist der Älteste. Er arbeitet für den Kurfürsten. Du musst dich anstrengen, wenn du etwas bei ihm gelten willst. Er soll dich endlich auf Wanderschaft schicken.“ Matthes weiß, was ihn jetzt erwartet, und er schließt schnell die Tür hinter sich. Zwanzig Jahre bist du alt und stehst noch immer nicht auf eigenen Füßen. Lässt den Thomas für dich arbeiten und schmierst selber nur ein wenig mit Farben herum wie ein Kind. Du bist eben zu spät geboren, Gott sei es geklagt! Es ist nichts mit den Kindern des Alters ...

Lucas der Maler treibt sein Pferd an. Tummel dich, Schwarzer, schneller, wir müssen heim. Keine Zeit heute für alte Gespenstertannen, für knorriges Wurzelwerk, für all das, was man malen oder wenigstens zeichnen müsste. Mein Herz weint, weil wir so schnell an dieser sonnigen Lichtung vorüberreiten müssen. Diese zackige Burg im Hintergrund! Doch weiter, ich will zur Mutter. Ich brauche sie schon jahrelang, und doch habe ich nie Zeit für siegefunden, oder fürchtete ich mich vor dem Vater? Nun habe ich die Mutter ganz für mich, und ich werde glücklich sein mit ihr, mit Barbara habe ich kein rechtes Glück ... Mein Leben ist reich und gesegnet, aber der Mensch, der mir am nächsten ist, bringt mir kein Glück ... Wie werde ich sie begrüßen nach all den Jahren? Schau her, Mutter, was aus deinem Sohn geworden ist! Du kannst stolz auf mich sein, ich sage es ohne alle Eitelkeit! Meine Bilder betrachtet man nicht nur, man spricht auch von ihnen, und nicht nur in der Stadt Wittenberg. Ich zeige dir die beiden großen Bilder der letzten Jahre. Nein, natürlich habe ich sie nicht bei mir, sie sind längst dort aufgestellt, wo man sie erbeten hat, und doch leben sie in mir weiter. Ich bin noch immer innig verbunden mit der heiligen Katharina, der Schutzpatronin der Gelehrten, deren Bild ich malen, neu erschaffen durfte. Wittenberg soll eine Stadt der Gelehrten werden, so hat es der allergnädigste Herr Kurfürst beschlossen. Und so wird es sein. Übelwollende, verblendete Menschen ließen einst der Heiligen das Haupt abschlagen.

Ein grausames, beängstigendes Bild, das ich da malen musste, doch du brauchst nicht davor zu erschrecken, denn die Schönheit ist stärker als der Tod. Ach Mutter, wenn du wüsstest, wie sehr ich die Schönheit liebe, wie ich mich nach ihr sehne! Barbara, meine Frau, ist schön, und doch sehne ich mich nach mehr Schönheit. Auf den Altarflügeln habe ich Schönheit vervielfacht. Je drei liebliche Jungfrauen stehen dort, es sind die lieben alten Heiligen, die ewig jung bleiben. Ich habe sie in den Jungbrunnen getaucht, Barbara, Ursula, Margaretha, Dorothea, Agnes und Kunigunde, lauter schwere, schöne Namen. Hinter ihnen habe ich die Schutzburg erbaut, damit sie gesichert leben können in dieser rauen, schönheitsfeindlichen Welt, die Veste Coburg ist dort zu sehen, denn mein Herr Kurfürst ist ein Schützer der Schönheit und der Kunst, und ich vertraue auf ihn. Ein eigenes Kind habe ich mir dazu erträumt und gemalt, und glaube mir, eines Tages werde ich es haben, dieses liebliche Geschöpf, das Blumen in einem Körbchen austeilt. Gefällt dir mein Bild, Mutter? Gefällt dir mein Kind? Oder sind die anderen dir lieber und nützlicher, die vierzehn Nothelfer, die ich aus ihren himmlischen Wohnungen geholt und auf der engen Tafel versammelt habe? Ungern habe ich mich von ihnen verabschiedet, als man das Bild von mir holte, am liebsten hätte ich jeden einzelnen festgehalten. Weißt du, Gestalten, die aus den Träumen und den Händen hervorgehen, leben.

So, Schwarzer, jetzt noch ein Trunk für dich und für mich aus dem Bach hier, das schöne, saftige Gras für dich, Brot und Speck für mich, dann geht es weiter, und bald sind wir daheim.“

In den beiden letzten Titeln dieses Newsletters geht es – allerdings auf unterschiedliche Weise – um die Wende und deren Folgen. So veröffentlichte Klaus Möckel erstmals 1991 im Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek bei Hamburg „Bennys Bluff. Krimi für Kinder, Eltern und Großeltern“: Berlin, wenige Wochen nach der Maueröffnung 1989. Benny, zwölf Jahre alt, findet, als er eines Tages vom Spielen heimkommt, seine Mutter tot in ihrem Bett. War es Mord? Das Tatwerkzeug deutet darauf hin und bringt Ralf in Verdacht, einen ihrer Freunde. Für den Jungen ein doppelter Schlag, denn er hätte sich diesen Mann gut als einen Ersatzvater vorstellen können. Verzweifelt macht sich Benny auf die Suche nach Ralf, der sich in den Westteil der Stadt abgesetzt hat. Dabei muss er Hindernisse aller Art überwinden, erlebt tiefe Enttäuschung, findet aber auch unerwartete Hilfe. Die Spur aber verzweigt sich, und es bedarf eines besonderen Bluffs, um den Täter schließlich zu entlarven. Das Buch, 1991 beim Rowohlt-Verlag erschienen und längst vergriffen, lenkt in seiner spannenden Handlung den Blick auf eine bereits historisch gewordene Zeit, auf die zugleich aufregende und verworrene Situation in den Monaten nach der Wende.

Und als erstes lernen wir zu Beginn des Buches wie seines 1. Kapitels Benny kennen, oder auch …

„Benny Wetzmann, auch Ben, Benno oder, wenn seine Mutter wütend ist, Ben-ja-min genannt, biegt in die Stargarder Straße ein, wechselt vor einem langsam dahintuckernden Trabi auf die andere Seite und setzt sich auf den Stapel Bretter, der hier liegt, seit sie die Hausdächer reparieren - seit Monaten also.

Benny ist zufrieden mit dem Tag. In der Schule gab es heute nur das halbe Programm, weil ein paar Lehrer ausgefallen sind, und auch später lief es gut. Die Stunden vergingen, er wusste nicht wie. Benny überlegt, ob er jetzt schon auf „Mellas Bude“ gehen soll oder noch ein bisschen herumziehen. Es ist zwar Abendbrotzeit, doch oben gibt es vielleicht bloß wieder Krach. Mella ist Bennys Mutter und Mellas Bude sein Zuhause; irgendein Kerl, der sich vor einem halben Jahr öfter bei ihr sehen ließ, hat den Ausdruck geprägt, und Benny hat ihn übernommen.

Das ist das Einzige, was von dem Macker damals geblieben ist, das heißt nein, es gibt im Küchenschrank noch eine grüne Blechbüchse mit goldenen Punkten drauf, in der mal Bonbons waren. Die hat der Mann bei einem seiner Besuche mitgebracht. Benny hätte sie längst weggeschmissen, er konnte den Macker nicht leiden, wie überhaupt die wenigsten von Mutters Bekannten, er steht bloß auf Ralf, aber Mella hängt an dem Kram. Sie hängt an Blechbüchsen, geflochtenen Körbchen, aber auch an großen Glitzerohrringen, an jeglichem Klimperzeug, eben ein Weib.

Selbst Jessika, die zwölf ist, ein halbes Jahr jünger als Benny, liebt rote Teebüchsen, Armreifen aus buntem Plast und Blechketten um den Hals. Mit Jessika war er heute nach der Schule an der S-Bahnbrücke bei der Kaufhalle. Sie sind den Hang hinuntergeklettert, haben gequatscht, sich was zusammengesponnen. Wo sie hinfahren würden, wenn sie Westknete hätten und so. Obwohl Jessika ein Kaninchen ist und am liebsten mit ihren Kassetten im Bau hockt. Mit Jessika würde Benny schon mal was losmachen, wenn sie nur wollte, einen Fahrradtrip oder per Anhalter an die See. Was ganz anderes aber ist es mit Ralf, denn für den würde er sich eine Kerbe ins Bein schneiden lassen. War das eine Freude gewesen, als Ralf nach einem halben Jahr Abwesenheit wieder in Mellas Bude auftauchte, nach einem halben Jahr, als wäre er nie weggeblieben. „Na, Benny, wie wär's, wenn wir beide uns 'ne Kerbe ins Bein schneiden?“ „Können wir“, hat Benny da ganz ernsthaft erwidert, „sofort, wenn du willst.“ Damals, als Ralf bei ihnen wohnte, hat er nämlich immer behauptet, so richtige Freunde sollten sich 'ne Kerbe ins Bein schneiden, damit sie einander nie vergessen.

Mella hat gegrient und gesagt: „Erzähl Benny nicht solchen Blödsinn, der ist so dumm und glaubt's.“ „Das verstehst du nicht, das ist Männersache, was Benny?“ Er hat genickt, glücklich genickt. Natürlich wusste er, dass es Blödsinn war, aber Ralf ist eben Ralf. Der einzige, der eine Ahnung vom Segeln hat, alles über Schiffe weiß, über Autos, über Computerspiele, der sich Zeit für ihn nimmt. Nicht genügend Zeit, aber immerhin. Seinetwegen hat sich Benny mit Hering verkracht, seinem besten Kumpel, es tut ihm nicht leid.

Hering hat Ralf beleidigt und Mella und ihn, vor allem aber Ralf. „Du gehst mir auf den Senkel mit deinem Onkel, er kommt, weil er deine Mutter bocken will, genau wie alle andern, bloß dass er ihr mehr Geschenke macht.“ „Du Schwein, feiges Aas, deine Mutter lässt sich selber bocken.“ Sie sind mit Fäusten aufeinander losgegangen. In Wirklichkeit ist Herings Mutter (mit richtigem Namen heißt er Gilbert Herzring) anders als Mella, nämlich eine richtige Ehefrau. Benny weiß es durchaus, und er weiß auch, dass seine Mama wegen ihres Lebenswandels im Haus und überall schlecht angesehen ist. Selbst die Großmutter, die in Erkner wohnt, am Rande von Berlin, stöhnt über die vielen Kerle und den Leichtsinn der Tochter, wenn sie Benny gegenüber auch den Mund hält. Er bekommt es auf andere Art mit, durch Gespräche der Oma mit ihrer Freundin, Anspielungen im Haus und nicht zuletzt durch Mella selbst. Sie schickt ihn weg, wenn die Macker da sind, sie bleibt abends aus und kommt mitten in der Nacht mit einem wildfremden Mann heim. Manchmal ist für einen Monat Ruhe, gibt es keine Kerle, dann wieder tauchen innerhalb einer Woche gleich zwei Bekannte auf. Einmal hat er sie sogar beim Bocken überrascht, splitternackt sie und der Mann, später dann hat er durchs Schlüsselloch gespäht. Bis sie ihn erwischte und windelweich klopfte. Doch was geht das Hering an und was hat es mit Ralf zu tun, mit seinem großen einzigen Freund.

Benny erhebt sich vom Bretterstapel, er hat sich überlegt, dass es nicht immer Streit gibt, wenn Ralf kommt, dass er jetzt oben sein kann und ihn nicht wegschicken wird. Später vielleicht ins Bett, aber das ist was anderes. Außerdem hat Benny Hunger. Er steuert das Haus an, in dem sie wohnen. Ein Altbau in einer alten Straße des Stadtbezirks Prenzlauer Berg, von vorn sieht er ganz passabel aus, wurde vor zwei Jahren neu verputzt, im Hinterhof aber ist er abgewrackt. Rußige Wände, Müllcontainer, die überquellen, Hundedreck, in der Mitte des Hofes ein kümmerliches Bäumchen. Benny sieht das jeden Tag, Benny denkt sich nichts dabei. Obwohl es schon dunkel ist, schaut die alte Frau Kent aus dem Fenster im linken Seitenflügel, als er vorbeigeht, und ihm entgegen kommt vom Seitengebäude rechts Familie Blettner. Er, Herr Blettner, steif aufgerichtet wie ein Stock - so läuft er immer - sie blässlich und krumm. Sie gehen aus, möglicherweise rüber nach Westberlin, sie hat da ihre Schwester, sagt Mutter. Sie konnte schon früher rüber, weil sie behindert ist, nur er durfte nicht, aber jetzt hat sich das ja geändert.

Benny grüßt so höflich er kann, denn das ist ihm von Mella eingeschärft worden. Die Blettners sind wichtig, von ihnen borgt Mutter mitunter Geld. Frau Blettner grüßt freundlich zurück, Herr Blettner nickt nur kurz, wie er es immer tut. Heute sogar noch kürzer als sonst, er schaut Benny nicht an. Mächtig eingebildet ist er, arbeitet bei einer hohen Verwaltung und hält sich für was ganz Besonderes. Hoffentlich ist Ralf da, und hoffentlich streiten sie sich nicht wieder, denkt Benny erneut. Am Abend zuvor oder schon halb in der Nacht ist er von dem Krawall aufgewacht, den die beiden machten. Geschrei, Geschimpfe und vielleicht sogar Schläge. Jedenfalls hatte Mella am Morgen ein blaues Auge. Kaum aber saßen sie beim Frühstück, blafften sie sich schon wieder an.

Weshalb nur können sich die beiden nicht vertragen. Eine Weile geht es gut, und plötzlich herrschen Mord und Totschlag. Dabei sind die anderen Kerle in den letzten Wochen weggeblieben, und überhaupt ist das eine Zeit nach dem Geschmack von Mella und Ralf. Behaupten sie ja selber. Die Grenze offen, Möglichkeiten, die man nie erhofft hätte. Demos, die Laune machen, alles ganz aufregend, da könnten sie doch zusammenhalten. Aber nein, sie brüllen sich an.“

Ebenfalls mit der Wende zu tun hat der 1992 im Wilhelm Heyne Verlag München und zwar als Nr. 02/2368 HEYNE BLAUE REIHE erschiene Kriminalroman „Die Leiche im Affenbrotbaum“ von Steffen Mohr. Allerdings spielt die Handlung dieses Buches nicht vorwiegend in dem gerade wiedervereinigten Deutschland, wie Politiker und viele andere Leute das nennen, sondern vorwiegend in Afrika: „Das hier“, erklärte Sall, „fanden wir in dem hohlen Affenbrotbaum." Er legte eine beredte Pause ein und begann dann, das Kuvert mit einer feierlichen Ruhe zu öffnen. „Und hier haben wir den zweiten greifbaren Fakt aus Ihrem Lügenmärchen: einen Zettel!“ Er hielt das linierte Blatt, aus einem Schreibheft herausgerissen, in seiner triumphierend erhobenen Hand. In deutscher Sprache und wieder aus vorgedruckten Buchstaben geschnitten und daraufgeklebt, las ich da: TÖTE DEN EVANGELISTEN.

Dem Leipziger Journalisten Karl Bondel ist nach der Wende seine Frau mit einem westdeutschen Arzt durchgebrannt, seine Arbeit ist auch gefährdet. Er will einfach ausspannen und bucht einen teuren Urlaub im fernen Senegal. Dort holt ihn seine DDR-Vergangenheit ein und er lernt seine Stasispitzel kennen. Er verliebt sich neu und gerät in äußerst lebensgefährliche Abenteuer.

Wir lernen Bondel kurz nach Beginn des Krimis von Steffen Mohr in einer ziemlich misslichen Situation kennen, in einem Verhör. Hören wir seine Gedanken: „Ich stellte mir kurz die Arrestzelle auf einem senegalesischen Polizeirevier vor. Aber ein Ostdeutscher oder Ossi, wie uns die ganze deutschsprachige Welt mit liebevoller Nachsicht nennt, kapituliert bereits an diesem Punkt einer Behördenbefragung und kommt, im Gegensatz zu dem viel weitläufigeren Wessi, nie auf den Satz, der etwa so oder ähnlich lautet: „Alle weiteren Auskünfte erteile ich nur in Gegenwart meines Anwalts.“ Wir hatten eben vierzig Jahre lang keine echten Rechtsanwälte, nur mehr oder weniger echte Linksanwälte. Also murmelte ich, mein unschuldigstes Gesicht aufsetzend und im Inneren auf jede List eingestellt: „Fragen Sie doch bitte, Monsieur. Es macht mir nichts.“ Über die jetzt schon glutheiße Schwelle des First-Class-Hotels huschte ein etwas zu großer Gecko. Wahrscheinlich war es aber ein vor Kurzem geborener Leguan, denn die Geckos sind scheuer. Der naive Leguan strolchte bis zu den Beinen unserer Rohrstühle hin, schnupperte nach dem Butterklecks auf meiner weißen Socke, flitzte jedoch gleich blitzartig nach draußen, als ich mit heftigem Ruck den Fuß fortzog.

„Sie sind also Karl Bondel, wohnhaft in Leipzig, Karl-Liebknecht-Straße 263, von Beruf Journalist?“ Sall las die Textgrundlage aus meiner Hotelanmeldung und dem druckfrischen Reisepass ab, hielt beides jedoch in der weltweit verbreiteten Polizistenart, sodass ich keinen Blick darauf werfen konnte. Der Mann verstand sein Handwerk. „„Mon dieu!“, fuhr es ihm heraus. „Journalist!“ Er grinste breit: „Da muss ich ja vorsichtig sein. - Nun, können Sie diese Angaben bestätigen, Herr Bondel?“ „Ja. Trotzdem würde ich gern einmal wissen ...“

Er zeigte mir weiter sein geblecktes Gebiss. Tadellose, von keinem Zahnarzt versaute Arbeit der Natur. Durch die Zähne erfüllte er unbeirrt seine Fragepflicht: „Eingereist 26. Februar diesen Jahres aus Deutschland - ja?“ „Ja.“ „Geplanter Abflug und damit Beendigung des - aha, soso - touristischen Aufenthalts im Senegal am 20. März? Richtig?“ „Exakt. Ich muss ja schließlich wieder auf meiner Arbeitsstelle antraben.“

Er verlor kurz sein Lächeln und blickte mich für Augenblicke verständnislos an. Dann bleckte er wieder dieses Reklamegebiss, für das ihn die Colgate palmolivfarbene GmbH oder irgendeine andere Putzfirma in Deutschland mit Kusshand zum Fernsehen geholt hätte. Immerhin war er schon ein Mann in mittleren Jahren. „Bien“, sagte er. „Deutscher Fleiß - großer Preis! Ich schätze Ihre Einstellung.“ „Ohne Fleiß kein Preis“, korrigierte ich. „Und nun sagen Sie mir bitte endlich, warum ...“

Er klappte den grünen Pass zu. Mit einer sanften Geste stricher über den kleinen aufgedruckten Goldadler. „Über der Savanne“, meditierte er, „fliegen viele Milane, auch Falken, Kormorane und Pelikane. Ich aber hätte gern einmal in Deutschland die vielen Adler gesehen.“ Zu solchen idyllischen Vorstellungen über seine Heimat konnte ein echter Deutscher nur schweigen. Monsieur steckte meinen Pass in die adrette Außentasche seiner dunkelblauen Jackettbrust und fragte: „Wo hielten Sie sich heute Nacht auf, Herr Bondel? Bitte seit gestern Abend genau und, wenn möglich, mit Uhrzeit und eventuellen Zeugen. Es geht um ...“

Aus Anstand sprach er den Satz nicht zu Ende, sondern machte die international bekannte Geste des Halsabschneidens. Auf einmal ritt mich der Teufel. Da ich mich nicht des geringsten Verbrechens schuldig fühlte, legte ich ihm eine fantastische Geschichte hin. Die kam mir wie aus der Pistole geschossen.„Nach Einbruch der Dunkelheit - wann das genau war, können Sie leicht dem französischen Abreißkalender da an der Wand entnehmen - entfernte ich mich heimlich aus dem Hotel. Zeugen dafür gibt es keine, denn ich vermied es, von irgendjemand beobachtet zu werden. Ich nahm nicht den Weg hier an der Rezeption vorbei, wissen Sie, sondern stieg zwischen dem Toilettenhäuschen und dem Swimmingpool über die Mauer. Der dahinter aufragende Affenbrotbaum bot mir eine leichte Gelegenheit, an einem seiner herabgebogenen Äste leise wie auch gefahrlos auf die Straße zu gelangen.

Über die Rue d'Aubert, die ich wegen der dort patrouillierenden Militärpolizei möglichst rasch überquerte, erreichte ich auf zahllosen schmutzigen Nebenstraßen den Hafen. Es gelang mir, die selbst zu dieser Stunde gewaltige Menge von Menschen abzuwimmeln, die mich anbettelten oder mir einen dieser bunten Armreifen verkaufen wollten. Im Dunkel eines abgelegenen Uferstücks, wo immer ein paar reparaturbedürftige Pirogen im Wasser schaukeln, traf ich meinen Mann. Er hockte im Schutz der überhängenden Palmenwedel auf einem der Kähne, dessen garantiert farbenfreudige Bemalung ich nicht erkennen konnte. Genauso wenig natürlich meinen Kurier, zumal er in der Art der Tuaregs einen riesigen Schal um das Gesicht geschlungen hatte. Es war aber sicher kein Tuareg, denn ich habe hier noch keinen einzigen gesehen. Der Mann sprach kein Wort, sondern reichte mir bloß das verschlossene Kuvert, das ich noch im Laufen öffnete. Im schwachen Schein des Lichts an meiner Armbanduhr entzifferte ich den in deutscher Sprache verfassten Inhalt der Botschaft. Da ich dabei die Uhr vor Augen hatte, weiß ich, dass es genau dreiundzwanzig Uhr siebzehn war, westafrikanischer Zeit natürlich. Auf dem von einer Cocaflasche aufgeweichten Zettel stand: >Als Teilnehmer der deutschen Herbstrevolution von 1989 bist du den Aufständischen herzlich willkommen. Frage im Nightclub nach Giselle. Alles Weitere erfährst du von ihr. Der revolutionäre Rat.< Ich aß das Papier, während ich mich eilig zur Stadt zurückwandte, in kleinen Stücken auf. Es schmeckte nach rohem Fisch und Leim ...“

Steffen Mohr hat seinem Krimi eine spannende Vorbemerkung vorangestellt, in der er auf geschickte Weise die wirkliche Wirklichkeit und die literarische Wirklichkeit seines Buches miteinander verknüpft und eine seiner Hauptfiguren aus dem Roman heraustreten lässt. St.M. (= Steffen Mohr) erklärt: „Figuren und Orte in diesem Buch sind reine Erfindungen zugunsten einer fantastischen Geschichte. Trotzdem gilt, was mir der Polizist Maguye Sall sagte: „... dass der Erzähler der unglaublichsten Märchen nie anders kann, als ein paar Funken Wahrheit in seine Lügen zu mischen.“ Allah möge mir verzeihen“, schreibt Steffen Mohr. Und die Leserin und der Leser mögen es mit wachsender Spannung genießen. Waren Sie eigentlich schon mal im Senegal? Oder in Breslau? Oder in Kronach? (Oder vielleicht sogar im Kosmos?)
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